Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.605

 

dem LKW ausserhalb des Lagers befunden. Wo Frenzel zu dieser Zeit war, ist nicht mehr feststellbar, möglicherweise in der Waschstube im Vorlager.

 

Gegen 15.45 Uhr kam Bauer mit dem LKW zurück ins Lager, fuhr in Richtung "Forsthaus" im Lager II. Er rief einige sich dort aufhaltende Häftlinge, sie sollten das Fahrzeug abladen. Jene hatten gerade zuvor einen Scharführer im Kassenraum, der sich im Gebäude der Oberförsterei befand, getötet. Dieses bemerkte Bauer und schoss sogleich auf die Häftlinge. Unter ihnen befand sich auch der Zeuge Biz., jener konnte entkommen.

 

Durch die Schüsse wurden auch die ukrainischen Wachmänner aufmerksam, es wurde Alarm gegeben. In der jetzt einsetzenden Verwirrung versuchten die Häftlinge des Lagers I und des Lagers II einerseits, die Waffenkammer zu erstürmen, andererseits auf das südliche Lager zuzulaufen, um auszubrechen. Die Arbeitsjuden, die im Lager IV gearbeitet hatten und auf dem Rückweg waren, konnten nicht eingreifen. Sie wurden von den Wachleuten, die sie begleiteten, in Schach gehalten, hatten keine Chance, zu entkommen. Auch die Erstürmung der Waffenkammer gelang nicht, obwohl Dub., der sich dort den Juden entgegenstellte, niedergeschlagen und so ausgeschaltet werden konnte. Auch das Haupttor, das über die Lagerstrasse ging, konnte nicht geöffnet werden, weil vor allem von diesem Bereich aus die mittlerweile von Frenzel alarmierten Wachen auf die Juden schossen. Nur wenigen gelang in diesem Bereich die Flucht, die meisten wurden zusammengeschossen.

 

Einer anderen grösseren Gruppe gelang es, vom Lager I und vom Vorlager aus, über den Stacheldrahtzaun zu klettern und durch das Minenfeld zu entkommen. In diesem Bereich waren nämlich nicht durchgehend scharfe Minen verlegt worden. Weil in jenem Bereich entlang der Umzäunung die Baracken der deutschen Wachmänner gestanden hatten, hatte die Lagerleitung geglaubt, jenen Teil nicht so stark sichern zu müssen. Gleichwohl blieb eine grössere Zahl von Juden, teils durch Minen zerfetzt, teils durch Gewehr- und Pistolenschüsse getroffen, tot zurück.

 

Der Angeklagte Frenzel war auch durch die einsetzende Schiesserei aufmerksam geworden und vor den heranstürmenden Juden in die Nähe des Haupttores gelangt. Von dort aus schoss er mit seiner Pistole - gemeinsam mit anderen Wachmännern - auf die Juden, die im Bereich des Tores zu flüchten versuchten. Anders als Franz Wol., der sich versteckt hielt, versuchte Frenzel, die Flucht möglichst vieler Menschen zu verhindern, sie zu töten. Es ist jedoch nicht sicher festzustellen, ob Frenzel durch seine Schüsse jemanden wirklich getötet hat, auch wenn dieses sehr wahrscheinlich ist. Fest steht aber, dass er durch seine Schüsse dabei mitgewirkt hat, dass der Teil der Wachmannschaften, der noch eingreifen konnte, viele jüdische Menschen tötete, andere wiederum hinderte, zu entfliehen. - Es handelt sich bei diesem Verhalten jedoch nicht um eine ausserhalb der allgemeinen Lagerbefehle liegenden Eigenmächtigkeit des Angeklagten. Es war vielmehr allgemein befohlen, auf jeden fliehenden Juden zu schiessen. Auch die vorstehend festgestellte Handlungsweise Frenzels stellte kein selbständiges Tatunrecht dar, gehörte vielmehr zu seiner allgemeine Beteiligung am Gesamtvernichtungsvorgang. -

 

Frenzel war, nachdem er sein Pistolenmagazin auf die Flüchtenden leergeschossen hatte und keine Möglichkeit mehr sah, sich weiter aktiv daran zu beteiligen, Fliehende zurückzuhalten, über die Bahngleise weg und zum etwa 75 m südlicher gelegenen Haus gelaufen, in dem sich zu der Zeit die Poststelle befand. Er informierte telefonisch zunächst den in der Nähe liegenden deutschen Zolldienst und danach die SS-Reiterschwadron in Chelm, anschliessend führte er ein sogenanntes "Hindenburggespräch" mit der Dienststelle des SS- und Polizeiführers in Lublin, um so zu veranlassen, dass möglichst schnell Jagd auf die Flüchtenden gemacht wurde.