Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.604

 

sprachlichen Gegebenheiten kaum eine Chance hatten, in der Gegend um das Vernichtungslager unerkannt untertauchen zu können - hatten zunächst keine konkreten Formen angenommen.

 

Das änderte sich, nachdem wohl am 22. oder 23.September 1943 ein Transport aus Minsk in Sobibor eingetroffen war. Eine mehrere hundert Personen starke Gruppe dieses insgesamt etwa 800 Menschen zählenden Transportes - ein etwa gleichstarker russischer Transport war kurz vorher eingetroffen und abgewickelt worden - bestand aus russischen Kriegsgefangenen jüdischer Herkunft. Von diesen wurden etwa 50 bis 80 ausgesondert, die anderen Menschen wurden in der üblichen Weise in den Gaskammern getötet. Innerhalb der zurückbehaltenen Gruppe, die fast vollständig jenem Arbeitskommando zugeordnet wurde, das dabei war, das Lager IV zu errichten, befand sich der Zeuge Pet., vormals Leutnant der Roten Armee. Ihm gelang es innerhalb weniger Tage, sich mit jenen polnischen, jüdischen Häftlingen in Verbindung zu setzen, die bereit waren, einen gross angelegten Fluchtplan zu organisieren. Zu ihnen gehörten u.a. die Zeugen Fellhändler und Szm. Es wurde verabredet, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich ein Teil der deutschen Lagermannschaft in Urlaub befände, die anderen Wachmänner in Hinterhalte zu locken und einzeln zu töten. Dies sollte möglichst zeitgleich geschehen; sodann sollte versucht werden, an die Waffen in der Waffenkammer im Vorlager zu gelangen und mit Hilfe jener Waffen unter Ausnutzung des Überraschungseffekts auszubrechen.

 

Der Eindruck der Juden, die den Aufstand planten, die Liquidierung aller Arbeitsjuden könne unmittelbar bevorstehen, verstärkte sich, als an einem nicht näher bekannten Tage Anfang Oktober 1943 viele Schüsse aus Lager III zu hören gewesen waren, ohne dass unmittelbar zuvor eine grössere Anzahl von Menschen dort hintransportiert worden war. Der von ihnen hieraus gezogene Schluss, dort seien die Arbeitsjuden liquidiert worden, traf auch tatsächlich zu. Am Abend des 09. oder 10.Oktober 1943, am Feiertag Yom Kippur, war den Arbeitsjuden auf ihre Bitte hin gestattet worden, gemeinsam zu beten. Die Gelegenheit wurde genutzt, um einem erweiterten Kreis von Arbeitsjuden mitzuteilen, was geplant sei. Zu der Zeit war bekannt, dass Reichleitner, Wagner, G. und einige andere deutsche Wachleute am 13.Oktober für einige Tage das Lager verlassen würden, um einen Urlaub anzutreten. Diesen Umstand hielten die Organisatoren des Aufstandes für besonders geeignet, den Plan umzusetzen. Vor Wagner und dessen Fähigkeit, sofort zu erahnen, wenn "etwas in der Luft lag", hatten die Juden besondere Angst, durch seine Abwesenheit stand er dann nicht im Wege; Frenzel schien den Juden weniger gefährlich zu sein, um ihren Fluchtplan zu entdecken.

 

Fall 54347

 

In den Nachmittagsstunden des 14.Oktober 1943 wurden mehrere deutsche Aufseher in die verabredeten Hinterhalte gelockt und getötet. Der stellvertretende Lagerleiter Niemann, Graetschuss, ausserdem Beckmann und Josef Wol. und weitere Wachmänner wurden erschlagen bzw. erstochen, Dub. 348 wurde durch Beilschläge auf den Kopf schwer verletzt. Auch einige ukrainische Wachmänner, unter anderem ein Volksdeutscher namens Klatt, wurden ausgeschaltet. Von den deutschen Wachmännern, die noch gefährlich werden konnten - das Lager III wurde in die Überlegungen nicht mit einbezogen -, hatten die Juden Franz Wol. 349, Bauer 350 und Frenzel zunächst nicht auffinden können. Bauer hatte sich mit

 

347 Siehe auch Bd.XXV S.125 f.

348 Siehe Lfd.Nr.642.

349 Siehe Lfd.Nr.642.

350 Siehe Lfd.Nr.212.