Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.602

 

Fall 51344

 

Im Sommer 1943 führte Dub. 345 das sogenannte "Waldkommando". Er war seit 1937 SS-Angehöriger der Totenkopfstandarte, seit Sommer 1939 bei der "Aktion T4" und später der "Aktion Reinhard" eingesetzt gewesen, und zwar zunächst als Scharführer, bei Kriegsende als Oberscharführer. Er war Mitglied der Wachmannschaft des Lagers Belzec gewesen und nach dessen Auflösung mit weiteren Deutschen nach Sobibor gekommen. Dort waren die festen Kommandos vergeben und so wechselten seine Aufgaben zuletzt mehrfach. Das "Waldkommando" war eines der grossen Kommandos. Zu jener Zeit war es dessen Aufgabe, in der näheren Umgebung des Lagers Stubben zu roden, d.h. Baumstümpfe nebst Hauptwurzeln aus den Wäldern zu holen und ins Lager zu bringen. In Abstimmung mit der Forstverwaltung konnten sich die Deutschen so genügend Brennmaterial besorgen, welches für die Verbrennung der massenhaft anfallenden Leichen im Lager III benötigt wurde.

 

An einem heissen Tag im Sommer 1943 war Dub. mit dem an jenem Tag aus etwa 20 bis 25 Juden bestehenden "Waldkommando" zum Holzholen und Stubbenroden unterwegs. Ausser Dub. waren noch etwa 8 ukrainische Hilfswillige zur Bewachung mit dem Kommando im Wald. Es waren so viele Wachmänner, damit gewährleistet war, dass die in kleinen Gruppen relativ weit voneinander entfernt arbeitenden Juden nicht Gelegenheit nehmen konnten, zu entfliehen. All zu unübersichtlich war das Gebiet nicht, weil die unteren Zweige der Bäume in jenem Bereich etwa bis gut 2 m Höhe entastet waren, das Waldgelände selbst eben war. Die Ukrainer waren mit Karabinern, Dub. nebst Peitsche mit seiner Dienstpistole bewaffnet. Gegen Mittag erlaubte Dub., dass zwei jüdische Arbeitshäftlinge Wasser holen gingen. Er schickte einen Ukrainer zur Bewachung mit. Einer von den beiden Juden war der Zeuge Pa., der andere wahrscheinlich ein Mann namens Josef Kopp 346. Als diese Männer ausserhalb der Sichtweite der übrigen waren, gelang es den Arbeitshäftlingen, ihren Bewacher zu überwältigen und zu töten. Sie nahmen ihm den Karabiner ab und flohen. Als die Gruppe über die Zeit ausblieb, schickte Dub. einen weiteren Ukrainer weg, der nach ihr sehen sollte. Er fand den getöteten Wachmann und meldete das Dub.

 

Dub. ordnete sofort an, dass die restlichen Arbeitsjuden zusammengetrieben wurden und sandte einen Wachmann zum Lagerleiter, um diesen zu benachrichtigen. Die aufkommende Unruhe nutzten einige Juden, um wegzulaufen. Es ist nicht feststellbar, ob sämtliche Juden, die jetzt zu fliehen versuchten, erschossen wurden, es spricht sogar vieles dafür, dass wenige Juden noch entkommen konnten. Nach einiger Zeit traf Reichleitner mit mehreren weiteren Deutschen und Ukrainern an der Arbeitsstelle ein, und die verbliebene Gruppe der Arbeitshäftlinge musste ins Lager "robben" und wurde bis zu dem freien Gelände zwischen Lager II und III getrieben. Die in den Lagern I und II arbeitenden Juden mussten ihrerseits antreten und wurden ebenfalls zu jenem freien Platz geführt, etwa bis zu dem Bereich, wo der Schienenstrang der Lorenbahn eine Rechtsbiegung in Richtung Lager III machte.

 

Bevor die Arbeitsjuden in Richtung zu dem freien Platz abmarschierten, wurde ihnen sinngemäss mitgeteilt, dass Juden aus dem Waldkommando geflohen seien, dass es jetzt zum Erschiessen gehe. Ob die so angesprochenen Juden darüber im unklaren gehalten wurden, ob auch sie erschossen würden, ist nicht mehr feststellbar. Es kann sein, dass jenen wahrheitsgemäss bedeutet worden ist, sie sollten bei der Erschiessung des restlichen "Waldkommandos" zusehen. Auf dem freien Platz mussten sie jedenfalls dergestalt antreten, dass sie einen grossen Halbkreis oder ein offenes Karree um die sich dort bereits befindlichen restlichen

 

344 Siehe auch Bd.XXV S.123 ff.

345 Siehe Lfd.Nr.642.

346 Im Urteil auch Josel Kopp genannt.