Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.600

 

Sehr früh war es in Sobibor, vor allem unter massgeblicher Beteiligung von Wagner und Frenzel, eingeführt worden, in Zeiten, in denen kein übermenschlich hoher Arbeitseinsatz von den Juden abverlangt werden konnte, Transporte seltener waren und dieserhalb der Arbeitsanfall zurückging, die Menschen mit Übungen zu beschäftigen, dem Exerzieren ähnlich. Frenzel als der Leiter des Lagers I kümmerte sich vornehmlich um diese Übungen. Gefiel ihm dann nicht, was die Arbeiter dabei zeigten, befahl er häufig Strafübungen. Die hiervon betroffenen Häftlinge mussten dann, wenn die anderen eine Erholungspause hatten, z.B. die Essenspausen, auf dem Platz im Lager I laufen und hüpfen, wobei auch Übungen, wie aus dem Lauf Hinwerfen und Wiederaufspringen nicht unüblich waren; auch weibliche Häftlinge wurden hiervon keineswegs ausgenommen.

 

Zu einer späteren Lagerzeit wurde im Lager ein "Strafkommando" eingerichtet, das über einige Wochen oder Monate bestand. Der unwiderlegbaren Einlassung Frenzels zufolge ist dieses "Strafkommando" nicht von ihm erfunden worden, jedoch hat er wiederholt, nämlich bei Abwesenheit Wagners, dieses geführt. Ihm war bekannt, dass diejenigen, die dorthin abkommandiert wurden, dort buchstäblich zu Tode gehetzt wurden. Jene Menschen mussten oft sinnlose Beschäftigungen, in der Regel im Laufschritt, so lange ausführen, bis sie vor Erschöpfung umfielen, oft mussten sie einen Tag lang hin- und herlaufen, ohne etwas zu essen zu erhalten. Brachen sie dann entkräftet zusammen, wurden sie zumeist in das Lager III geschafft und dort erschossen; überlebt haben das "Strafkommando" nur wenige. Frenzel wusste, dass die Hoffnung eines dorthin überstellten Juden äusserst gering war, lebend aus dem "Strafkommando" entlassen zu werden. Aus seiner Grundeinstellung heraus überantwortete er wiederholt Arbeitsjuden in jenes Kommando.

 

7. Fluchtpläne

 

Ausser dem bereits erwähnten Fluchtversuch, bei dem Arbeitshäftlinge des Lagers III einen Tunnel zu graben begonnen hatten, gab es im Lager Sobibor mehrere, teils erfolgreiche Fluchtunternehmungen.

 

Fall 46; eingestellt gemäss §154 Abs.2 StPO

 

Möglicherweise im Herbst 1942, wahrscheinlich aber im Frühjahr 1943, der genaue Tag ist nicht mehr feststellbar, gelang es in einer regnerischen Nacht zwei Handwerkern zu entfliehen. Es handelte sich um Mitglieder eines Kommandos, das sich mit dem Aufbau von Gebäuden im Lager beschäftigte; einer von ihnen soll Maurer, der andere Zimmermann gewesen sein. Obwohl zu jener Zeit das Lager bereits teilweise mit einem Minengürtel umgeben war, war es ihnen gelungen, unentdeckt unter dem Lagerzaun hindurchzukriechen und zu entkommen. Morgens stellte sich dann das Fehlen der beiden heraus, die Arbeitsjuden mussten zum Appell antreten und blockweise stehenbleiben.

 

Die Lagerleitung hatte, wahrscheinlich in Abstimmung mit Christian Wirth, für den Lagerbetrieb verbindlich festgelegt, dass bei Fluchtunternehmungen unbedingt die Lagerleitung zu informieren war; nur dieser stand die Entscheidung zu, was in einem derartigen Fall zu geschehen hatte. Allen war nämlich klar, welche Wirkung ein erfolgreicher Fluchtversuch auf die übrigen Arbeitsjuden haben konnte. Jene wussten schliesslich, in welch verzweifelter Lage sie sich befanden. Die Ermutigung, die von einem erfolgreichen, sonst folgenlosen Fluchtvorhaben ausgehen konnte, gefährdete so den Lagerzweck, erschwerte zumindest die Tätigkeit der Wachmannschaften, dass sich die Lagerleitung die Entscheidungskompetenz vorbehalten hatte.

 

Zumindest der stellvertretende Lagerleiter Niemann, möglicherweise auch Reichleitner als Lagerkommandant, daneben Frenzel als Leiter des Lagers I und weitere deutsche Lagerangehörige versammelten sich schliesslich. Den angetretenen Arbeitsjuden wurde mitgeteilt, es