Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.60

 

schlanker, sehr grosser Mensch gewesen, der den Rang eines Obersturmbannführers besessen habe. Der Zeuge räumte jedoch ein, sich nicht mit der Rangordnung ausgekannt zu haben.

 

Weitere Gefangene sollen auf dem Innenhof erschossen worden sein. Diese Gefangenen sollen von anderen Gefangenen aus dem Lazarett auf den Hof gebracht und dort durch die SS erschossen worden sein. Hierüber waren aber keine sicheren Feststellungen zu treffen. Es muss dahinstehen, ob und in welcher Weise dies geschehen ist. Der Zeuge Hink. will hiervon nur durch einen anderen Zeugen, der nicht ermittelt und vernommen werden konnte, gehört haben. Er hat hierzu keine eigenen Beobachtungen machen und wiedergeben können.

Die Erschiessung dauerte mehrere Stunden. Genaue Feststellungen über die Dauer waren nicht möglich. Hierzu wichen die Aussagen der einzelnen Zeugen zu weit voneinander ab. Die Zeugenaussagen beruhten im übrigen alle nur auf Schätzungen. Die Erschiessungen haben aber mit Sicherheit in den späten Abendstunden des 30.Januar 1945 begonnen und haben bis zu den ersten Morgenstunden des 31.Januar 1945 gedauert. Soweit die Zeugin Nol. anhaltende Schüsse am Nachmittag des 31.1.1945 aus der Anstalt gehört haben will, muss es sich um einen Irrtum oder um einen Erinnerungsfehler handeln.

 

Mindestens vier Gefangene haben die Exekution überlebt, obwohl sie zur Exekutionsstätte geführt und auf sie geschossen worden war. Es sind dies die als Zeugen vernommenen Ess., Lec. und Sav. sowie ein weiterer nicht ausfindig gemachter Gefangener ukrainischer Abstammung, der den Namen Corek getragen haben soll. Der Zeuge Ess. erhielt einen Genickschuss, bei dem das Geschoss in Höhe der Augenbraue über dem Auge wieder heraustrat, ohne dass hierdurch der Tod eingetreten war. Der Zeuge hat hierdurch ein Augenlicht verloren und ist teilweise halbseitig gelähmt oder jedenfalls stark in der Bewegung gehindert. Der Zeuge Lec. hatte in einer Gruppe von 10 Gefangenen die Anordnung bekommen, sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen, um erschossen zu werden. Er kam dieser Anordnung jedoch nicht nach, sondern wendete Kopf und Oberkörper in dem Augenblick des Abfeuerns hinter seinen Nebenmann, so dass er nur einen Schuss in die Schulter erhielt, der nicht tödlich war. Der Zeuge liess sich jedoch fallen und verlor anschliessend das Bewusstsein. Der Zeuge Sav. musste sich bei der Exekution hinknien, um einen Genickschuss zu erhalten. Er hatte ein Stück einer Wolldecke unter seine Jacke gesteckt. In diese Decke ist ein Schuss gegangen, der ihn aber nicht verletzte. Ein zweites Geschoss streifte Nacken und Hals. Der Zeuge tat so, als ob er tödlich getroffen worden sei. Er hatte nicht das Bewusstsein verloren.

 

Alle drei Zeugen wurden durch das Gefangenenkommando auf den Leichenhaufen geschleppt. Sie lagen dort im Schnee und bei grosser Kälte bis etwa zum nächsten Morgen und begaben sich anschliessend getrennt voneinander in das Zuchthausgebäude, wo sie sich später trafen. Nachdem die sowjetischen Truppen das Zuchthausgebäude erreicht hatten, wurden sie von diesen gepflegt und abtransportiert. Der überlebende Gefangene ukrainischer Abstammung wurde sofort von ihnen getrennt.

 

5.6 Ahnungslosigkeit der Häftlinge

 

Zur Frage, ob die Getöteten vor dem Hinausführen aus dem Zuchthausgebäude und durch das Holzhoftor von dem bevorstehenden Schicksal wussten, es ahnten oder völlig ahnungslos waren, hat es viele sich widersprechende Angaben gegeben. Aufgrund der Beweisaufnahme hat sich das Gericht kein sicheres Bild eines jeden Getöteten über seine Kenntnis oder Unkenntnis des Bevorstehenden machen können. Hierzu konnte schon nicht ausgeschlossen werden, dass manche der Getöteten den eventuell schon zu hörenden Frontlärm mit den Schüssen, die in der Anstalt fielen, verwechselten. Dennoch ist das Schwurgericht zu der Überzeugung gelangt, dass ein Teil der Gefangenen, dessen Anzahl aber nicht angegeben werden kann, vorher von Schüssen nichts gehört hat, von der Anwesenheit eines SS-Kommandos in der Anstalt nichts wusste und seinem Schicksal völlig ahnungslos entgegen ging. Hierzu ist insbesondere die Gruppe der zuerst Erschossenen zu zählen. Aber auch bei anderen