Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.597

 

Verbrechen an Häftlingen zum angeblichen Wohle des Vaterlandes antrieb. Um jedes Nachdenken über die Rechtmässigkeit von Massnahmen zu unterdrücken und um jede gewissensmässige Prüfung zu verhindern, wurde der absolute Gehorsam gegenüber Befehlen der Vorgesetzten in den Vordergrund gestellt. Jeder SS-Anwärter hatte bei seiner Aufnahme in die SS folgenden Eid zu leisten:

"Ich schwöre dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Reiches Treue und Dankbarkeit.

Ich gelobe Dir und den von Dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod, so wahr mir Gott helfe!"

 

Während seiner Zugehörigkeit zu den SS-Totenkopfverbänden musste der SS-Mann laufend einen sehr intensiven Unterricht über sich ergehen lassen, in dem ihm immer wieder eingehämmert wurde, dass alles das, was der "Führer" und seine unmittelbaren Vorgesetzten täten und insbesondere befählen, nach dem Grundsatz "Führerworte sind Gesetzesworte" richtig und unantastbar, also kritiklos zu befolgen sei. Himmler selbst formulierte diese Gehorsamspflicht wie folgt:

"Die vierte Richtlinie und Tugend, die für uns gilt, ist die des Gehorsams, der bedingungslos aus höchster Freiwilligkeit kommt, aus dem Dienst an unserer Weltanschauung, der bereit ist, jedes, aber auch jedes Opfer an Stolz, an äusseren Ehren und an all dem, was uns persönlich lieb und wert ist, zu bringen; des Gehorsams, der nicht ein einziges Mal zaudert, sondern bedingungslos jedem Befehl folgt, der vom Führer kommt oder rechtmässig von den Vorgesetzten gegeben wird; des Gehorsams, der ebenso in der Zeit des politischen Kampfes, wenn der Freiheitswille glaubt sich empören zu müssen, stillschweigt, der bei wachsten Sinnen und gespannter Aufmerksamkeit gegen den Gegner, wenn es verboten ist, nicht den Finger rührt, der ebenso bedingungslos gehorcht und zum Angriff geht, auch wenn er einmal glauben sollte, es in seinem Herzen nicht überwinden zu können."

Jedes Abweichen von dieser Linie wurde - jedenfalls seit 1939 - nach der SS-Disziplinarordnung geahndet.

"Gehorsam wird im soldatischen Leben morgens, mittags und abends gefordert und geleistet. Der kleine Mann gehorcht auch immer oder meistens. Gehorcht er nicht, so wird er eingesperrt." (Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4.Oktober 1943).

 

Diese dauernde Schulung war so wirkungsvoll, dass sich die Mehrzahl der SS-Leute die Gesichtspunkte der Führung zu eigen machten und ihre Befehle hemmungslos ausführten. Ausserdem wurde den SS-Leuten der KZ-Lager-Kommandanturen eingehämmert, dass sie in den KZ-Lagern den "Abschaum der Menschheit" vor sich hätten.

 

Ferner wurde den SS-Führern und -Unterführern schon 1935 beigebracht, die Juden seien ein besonders minderwertiger Menschenschlag, der den unterentwickelten Völkern gleichzusetzen sei; sie hätten sich in Deutschland als Parasiten eingeschlichen; durch ihre Einwirkung sei der erste Weltkrieg verloren gegangen; sie begingen ständig in zahlreichen Fällen Rassenschande; sie seien deshalb nicht mehr lebensberechtigt. Die internationale Bibelforschervereinigung wurde als eine Sekte hingestellt, die von dem amerikanischen Juden Rutherford lediglich zur Aushöhlung der deutschen Wehrkraft errichtet worden sei. Wer einer solchen Sekte angehöre und seinen Widerstand gegen die Erfüllung der Wehrpflicht nicht aufgebe, der sei nicht wert, ein Deutscher zu sein und müsse ausgerottet werden. Die Angehörigen fremder Völker wurden systematisch als minderwertig, überflüssig und daher ausrottungsreif angesehen. Polen werde beispielsweise als Siedlungsraum gebraucht, die Bevölkerung sei darum zu reduzieren. Himmler selbst bezeichnete in einer Ansprache an das Offizierskorps der Leibstandarte SS Adolf Hitler am 7.September 1940 die polnische Bevölkerung als