Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.596

 

25 Peitschenhiebe. Josef Cuk. musste sein Gesäss entblössen, wurde über einen Balken oder ähnlichen Gegenstand gelegt und so auf das nackte Gesäss gepeitscht, dass er dort tiefe Aufplatzungen erlitt. Sein Vater musste sich bücken, jemand nahm seinen Kopf zwischen die Beine und sodann wurde er in gleicher Weise wie sein Sohn ausgepeitscht. Zumeist pflegte Frenzel wegzugehen, wenn die von ihm angeordneten Auspeitschungen begonnen hatten; ihn berührte sowieso nicht, was unmittelbar aus den Menschen wurde, die auf seinen Befehl hin mit zumeist mindestens 25 Peitschenhieben geprügelt wurden. In diesem Fall verhielt er sich anders. Er blieb dabei, bis Hersz Cuk., der unter den ersten Schlägen laut geschrieen hatte, schliesslich verstummte und nach 25 Schlägen bewusstlos liegenblieb. Erst dann entfernte sich Frenzel und liess es zu, dass beide anschliessend so behandelt wurden, wie es im Jahre 1943 auch der allgemeinen Befehlslage entsprach. Bei beiden Cuk.s durften die Wunden versorgt werden. Beide wurden nach einer kurzen Erholungszeit weiter als Arbeitsjuden beschäftigt, Hersz Cuk. nach einiger Zeit wieder in der Küche; sie haben die Lagerzeit überlebt, weil auch sie beim Aufstand vom 14.Oktober 1943 flüchten konnten.

 

Es bedurfte jedoch keineswegs eines ähnlich ernsthaften Grundes wie es das Entziehen von einem grösseren Fleischstück, das für die Häftlingsverpflegung gedacht war, darstellte, damit Frenzel das Auspeitschen von Arbeitshäftlingen vornahm bzw. anordnete. In der weitaus grösseren Zahl der mit mindestens 70 festgestellten Vorkommnissen von Auspeitschungen, die auf Entscheidungen Frenzels zurückgingen, ordnete der Angeklagte solche Bestrafungen an, ohne dass eine Verhaltensweise eines Arbeitsjuden vorlag, die unter Berücksichtigung der gesamten Lagerverhältnisse einen nachvollziehbaren Anlass hierfür bot. Der Massstab, der den Angeklagten im wesentlichen bestimmte, war nicht so sehr die Bedeutung des Anlasses, sondern vielmehr der Umstand, ob er den jeweiligen jüdischen Menschen mochte, für einen "guten Arbeitshäftling" hielt oder dieser ihm irgendwie missfiel. Diese rein willkürlich vorgenommene Unterscheidung führte dazu, dass er nicht bei ihm beliebte Arbeitshäftlinge schnell als "Drückeberger" betrachtete. Hatten dann z.B. spontan von Frenzel durchgeführte Kontrollen einzelner Häftlinge oder der Unterkunftsbaracken dazu geführt, dass er geringfügige Unregelmässigkeiten solcher unbeliebten Menschen feststellte, so ordnete er deren Auspeitschung an. Nicht nur an Sonntagen, die grundsätzlich dazu genutzt wurden, die Häftlinge ihre Unterkünfte ausräumen und reinigen zu lassen, sondern auch bei anderen Gelegenheiten liess der Angeklagte die Unterkunftsbaracken durchsuchen, um zu überprüfen, ob einzelne Häftlinge etwa Nahrungsmittel oder zusätzliche Kleidungsstücke unter ihren übrigen Habseligkeiten versteckt hatten. Während es nicht nur üblich war, in bestimmtem Umfang sogar geduldet wurde, dass sich die Arbeitsjuden aus den sortierten Habseligkeiten der Getöteten in gewissem Umfang selbst versorgten, wurde das den Arbeitshäftlingen gegenüber, die Frenzel nicht leiden mochte, dann als Vorwand genommen, um sie zu bestrafen.

 

Beobachtete Frenzel Arbeitsjuden, die sich seiner momentanen Einschätzung nach gerade nicht flink genug bei der Arbeit bewegten, konnte ihm das gleichfalls Anlass sein, eine Bestrafung anzuordnen. Handelte es sich bei dem ertappten um einen eher beliebten Arbeitsjuden, so liess Frenzel es vielfach dabei bewenden, diesen anzubrüllen oder ihm einige Peitschenhiebe im Vorbeigehen zu erteilen, um so den angetroffenen zu verwarnen, ihn zur erhöhten Schnelligkeit anzuhalten.

 

War ihm allerdings erst einmal ein Arbeitsjude als "Drückeberger" aufgefallen, bedeutete eine weitere "Unregelmässigkeit", dass Frenzel nicht die Auspeitschung als das mildere Mittel anordnete - eine sonst sanktionslose Ermahnung, die nach der allgemeinen Befehlslage auch möglich gewesen wäre, zog der Angeklagte erst recht nicht in Erwägung -, sondern dessen Überführen ins Lager III, wo der hierzu "Verurteilte" ohne weiteres erschossen wurde. Auch Frenzel war bekannt, dass Arbeitsjuden, die aufgrund von Einzelanordnungen ins Lager III verbracht wurden, unabhängig davon, ob sie arbeitsfähig oder arbeitsunfähig waren, ohne weitere, zusätzliche Anordnung liquidiert wurden. Diese Konsequenz war auch den Arbeitsjuden bekannt; die Anordnung, sie zum Lager III abzuführen oder auch, wie es im