Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.587

 

erfolgten Lagerabbruchs nicht mehr vollendet, die geplante "Entlaborisierungsanstalt" für Beutemunition nahm, soweit feststellbar, nicht mehr die Tätigkeit auf. Auch diese Bauarbeiten beaufsichtigte Frenzel; vor allem die russischen Kriegsgefangenen aus dem Transport aus Minsk waren hier zusätzlich zum bis dahin bestehenden Bautrupp eingesetzt worden, damit die Arbeiten zügig vorangingen. Diese Tätigkeit hinderte Frenzel nicht, sich um das Bahnhofskommando zu kümmern und die Tätigkeit des Führers des Lagers I in der Weise auszufüllen, wie er es seit der Übernahme der Funktionen getan hatte. Ihm unterstanden dabei zuletzt 4 oder 5 SS-Männer als Unterführer, die im Lager IV die Bewachung der Arbeitsjuden durchführten.

 

Wenn der jeweilige Lagerleiter sich auch wenig um die Einzelvorkommnisse im Lager kümmerte, trug er doch gegenüber Globocnik und Wirth die Verantwortung dafür, dass der Lagerbetrieb reibungslos ablief und die vorgegebenen Ziele erfüllt wurden. Wirth, der durchschnittlich einmal im Monat zu einer Inspektion ins Lager Sobibor kam, galt als rücksichtsloser Vorgesetzter. Er wurde von seinen Untergebenen auch der "wilde Christian" genannt; wiederholt kam es vor, dass er anlässlich von Auseinandersetzungen mit Untergebenen seine Pistole zog und damit drohte. Zeigte sein Gegenüber sich jedoch unbeeindruckt, steckte Wirth zurück.

 

Es ist kein Fall bekannt geworden, dass Wirth tatsächlich auf einen Untergebenen geschossen hätte oder ihn oder dessen Familienangehörigen in ein KZ geschickt hätte, was er oft genug grosssprecherisch androhte. Ähnliches hat sich zweimal im Lager Belzec zwischen Wirth und dem SS-Unterscharführer Unv. 336, der später von Juni 1943 bis zur Auflösung des Lagers Sobibor diesem angehörte, ereignet. Unv. hatte nämlich versucht, aus der "Aktion Reinhard" und dem Lager Belzec wegzukommen und Wirth hierauf angesprochen. Als er zur Begründung anführte, die Tätigkeit im Lager belaste ihn seelisch zu sehr, brüllte Wirth ihn an, beschimpfte ihn als "Lump", bedrohte ihn als "Feigling" und "Drückeberger" und erklärte, Unv. habe zu bleiben, wo er eingesetzt sei. Nachdem der SS-Hauptsturmführer Hering, der schon in der Euthanasieaktion, und zwar in Hadamar, Vorgesetzter von Unv. gewesen war, Nachfolger von Christian Wirth als Leiter des Lagers Belzec wurde, bemühte sich Unv., nunmehr in der Zentrale der "T4" in Berlin, darum, entlassen zu werden unter Hinweis darauf, dass er infolge einer Fleckfiebererkrankung ein Auge verloren hatte. Ihm wurde angeboten, in der sogenannten "stillen Euthanasie" eingesetzt zu werden; auch das lehnte Unv. jedoch ab. Daraufhin kam es zu einer Auseinandersetzung mit Hering und Wirth. Vor versammelter Mannschaft widersprach Unv. den Beschimpfungen Wirths. Dieser zog in seiner Wut die Pistole gegen ihn und brüllte, wenn Unv. "die Schnauze nicht halte", werde er ihn "umlegen". Unv. liess sich auch hiervon nicht beeindrucken. Er kam jedoch nicht aus der "Aktion Reinhard" frei, wurde vielmehr eine Zeitlang strafversetzt in Lager III in Belzec, bevor er später nach Sobibor kam.

 

Auch der Angeklagte Frenzel hat sich unwiderlegt eingelassen, Wirth habe ihn einmal wegen eines Vorfalls, der sich in Berlin ereignet hatte, mit Erschiessen und KZ bedroht. Er, Frenzel, habe seinerseits daraufhin die Waffe gezogen und Wirth habe schliesslich die Auseinandersetzung beendet, ohne dass es Weiterungen gegeben habe. Der Grund sei gewesen, dass er anlässlich der Beerdigung des Unterführers Bauch in Berlin gewesen sei und die Gelegenheit genutzt habe, sich bei dem Wehrbezirkskommando in Neuruppin darum zu bemühen, dass seine "uk"-Stellung zugunsten eines Fronteinsatzes aufgehoben werde. Wirth habe ihm das als versuchte Fahnenflucht ausgelegt und hierüber sei es zu dem Streit gekommen.

 

336 Siehe Lfd.Nr.155 (dort: U.) und 642.