Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.585

 

Auch Sch. war mit der Vernichtungsaktion mehr und mehr nicht einverstanden. Er sah zwar keine Möglichkeit, über Stangl, Wirth oder über Globocnik zu erreichen, dass er aus dem Lager wegkäme, hatte aber andererseits durch seine frühere Verwaltungstätigkeit genügend Verbindungen, um sich in Berlin erfolgreich um Ablösung zu bemühen. Unter Bruch der Schweigepflicht erzählte er seinem früheren Vorgesetzten, dem SS-Oberführer Siebert von den Vorgängen in Sobibor und bat - erfolgreich -, dass seine "uk"-Stellung rückgängig gemacht werde. Er kam zur Waffen-SS und nach einer militärischen Ausbildung zum Fronteinsatz.

 

Neben Steubel, der zunächst andere Tätigkeiten in Sobibor ausgeführt hatte und den Posten Sch.s übernahm, erreichten nur Wagner und Frenzel, von Tätigkeiten, die für den Ablauf der Vernichtungsaktion weniger bedeutend waren, auf solche Stellen zu kommen, die sie zu den wichtigsten Männern im Lager machten. Obwohl dem Range nach nur SS-Scharführer verstand es Wagner bald, den Posten des Spiesses zu übernehmen. Von da ab beeinflusste Wagner, dessen Aufgabe und Funktion es nun war, überall zu sein und der ständig zu Kontrollgängen im Lager unterwegs war und die Arbeiter antrieb, den Lagerbetrieb entscheidend. Weder Stangl noch Reichleitner noch deren Stellvertreter griffen nämlich in das eigentliche Lagergeschehen ein, traten insbesondere den Lagerhäftlingen gegenüber kaum in Erscheinung. Allenfalls wenn eine grössere Massnahme anstand, etwa eine Exekution einer ganzen Gruppe von Menschen, nahm der Lagerleiter oder sein Stellvertreter daran als Handelnder teil. Im übrigen beschränkten sie sich darauf, gelegentliche Kontrollgänge durch das Lager zu machen, an Appellen teilzunehmen oder dabeizustehen, wenn die Zugbegleitung einen eingetroffenen Transport übergab.

 

Beide Kommandanten, Stangl ebenso wie Reichleitner, überliessen die Einzelheiten des Lagerbetriebes weitgehend dem Spiess und den Leitern des Lagers I und des Lagers III. In Form von Einzelanweisungen gegenüber deutschen Lagerangehörigen griff Stangl, der bei seinen Untergebenen als umgänglicher Mann galt, nur vereinzelt ein und nur dann, wenn er den Eindruck gewonnen hatte, die von dem jeweiligen Deutschen angewandten Methoden könnten zu einer Störung des Lagerbetriebes führen, von Aufsehern angewandtes übermässiges Antreiben und Quälen von Arbeitsjuden könne dazu führen, dass jene "aufsässig" würden. Reichleitner galt bei seinen Untergebenen als strengerer Vorgesetzter als Stangl, liess seinen Untergebenen aber ebenfalls weitgehend freie Hand bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Er galt als ein Vorgesetzter, mit dem auch untere Dienstgrade offen und frei sprechen konnten.

 

Beide Lagerkommandanten sorgten in einigen wenigen Fällen dafür, dass deutsche Lagerangehörige, die sich über die allgemeine Befehlslage hinweggesetzt hatten, entweder innerhalb des Lagers oder zu einem der beiden anderen Lager der "Aktion Reinhard" versetzt wurden. Soweit bekannt, hatte Paul Groth intime Beziehungen zu einem jüdischen Mädchen aufgenommen, Karl Ludwig hatte u.a. ausserhalb des Lagers eigenmächtig eine Jüdin erschossen und Lac. wurde angelastet, er habe im Lager zu sehr dem Alkohol zugesprochen. Dass ein Deutscher versetzt worden wäre, weil er innerhalb des Lagers gegen einen Juden zu brutal vorgegangen wäre, ist nicht bekannt geworden.

 

Wagner nutzte den von der Lagerleitung gelassenen Spielraum, um zur zentralen Figur im Lager zu werden. Er ordnete an, welche Arbeiten gemacht werden sollten, ob und in welchem Umfange Arbeitskommandos hierfür eingerichtet wurden. Besonders in der Zeit, als noch Weiss das Bahnhofskommando führte und Leiter des Lagers I war, wählte er Arbeitshäftlinge aus. Er galt als äusserst brutal und grausam. Er beeindruckte durch seine körperliche Grösse, wirkte auf die Häftlinge unmenschlich, war für sie eine ständige Bedrohung während und nach der Arbeit. Weil er ständig im Lager kontrollierend umherging, musste bei den einzelnen Arbeitskommandos jederzeit mit seinem Erscheinen gerechnet werden. Auch im Vergleich zu den anderen Deutschen trat er besonders brutal und grausam auf,