Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.581

 

Schlauch und dort unmittelbar in die Gaskammern geführt oder je nach Erfordernis getrieben. Es wurde darauf geachtet, dass die jeweilige Gruppe nicht grösser war, als die Kapazität der Gaskammern es zuliess. Bis zu deren Ausbau waren die Gruppen dementsprechend bis zu 240, im späteren Ausbaustadium bis zu 480 Menschen stark.

 

Eine gewisse Veränderung in dem Ablauf zwischen der Ansprache, der Abgabe der Wertsachen und dem Eintreffen im Lager III ergab sich im Frühjahr 1943. Damals wurde eine Haarschneidebaracke (Nr.28 südlich von Lager III) errichtet; ein Teil dieser Baracke oder auch eine gesonderte, ganz dicht davor gebaute sogenannte Durchgangsbaracke wurde dafür vorgesehen, dass sich jedenfalls die Frauen dort entkleiden mussten. Sie wurden alsdann zu Stühlen geführt, auf denen sie sich - schon nackt ausgezogen - hinzusetzen hatten und von jungen männlichen Arbeitsjuden, den sogenannten Friseuren, sich das Haupthaar abschneiden lassen mussten. Die Frauen wurden sodann gruppenweise von dort ins Lager III geführt. Die abgeschnittenen Haare wurden in Säcken gesammelt und zur Verwertung bzw. zum Versand bereitgestellt.

 

Sobald eine Gruppe vom Auskleideplatz im Lager II abgeführt worden war, wurde dieser Sandplatz von einem Kommando Arbeitsjuden gereinigt, die abgelegten Sachen wurden zur Seite geräumt. Auf diese Weise wurde erreicht, dass der Platz der nächsten, im direkten Anschluss herangeführten Gruppe unverdächtig erschien. Dieser Vorgang wiederholte sich, bis die letzte Gruppe der Menschen das Auffanglager in Richtung Lager III verlassen hatte. Sodann wurde mit dem eigentlichen Sortieren begonnen, in das auch das grosse Gepäck, das zunächst im Bereich der Bahnrampe zurückgeblieben war, mit einbezogen wurde.

 

Der Abstand zwischen der Rampe zu den Gaskammern, der in Luftlinie sich auf ca. 400 bis 500 m belief, war gross genug, so dass die noch auf der Rampe befindlichen Menschen die verzweifelten Schreie der in den Gaskammern erstickenden Menschen nicht oder doch nur in seltenen Ausnahmefällen hörten, zumal die luftdichten Türen der Gaskammern eine sehr stark schallhemmende Wirkung hatten und die Gaskammern von Bäumen umstanden waren. Im übrigen herrschte auch keine Ruhe bei den auf der Rampe oder dem Weg durch das Lager befindlichen Menschen. Mögen sie auch das Geräusch des Vergasungsmotors gehört haben, so steht doch fest, dass sie meist weder hierdurch, noch durch andere aus dem Bereich des Lagers III kommenden Geräusche gewarnt wurden. Anders als die Arbeitsjuden, die schon bald nach ihrer Aussonderung die sich immer wieder gleichenden Geräusche zu deuten wussten, verstanden die auf dem Weg zu ihrem Tod befindlichen nicht, dass die vor ihnen abgeführten sich bereits im Todeskampf befanden.

 

Sobald die jeweilige Gruppe von Menschen im Lager III eingetroffen war, wurde sie zum Gaskammergebäude geführt, das über seiner Eingangstür aus Tarnungsgründen das Schild "Bad" trug. Waren die Menschen erst in die einzelnen Kammern hineingetrieben, die Türen alsdann luftdicht verschlossen worden, wurde der neben der Gaskammer installierte Motor angeworfen. Jetzt, wenn die Menschen entdeckten, dass sich die Zelle mit Gas füllte, sie in eine unentrinnbare Falle geraten waren, setzte ohnmächtiges, verzweifeltes Geschrei ein. Sie gerieten in Panik, jedoch waren alle etwaigen Bemühungen zu entrinnen vergebens, die Türen waren von innen nicht zu öffnen. Die eindringenden Kohlenoxyde, die in ihrer Konzentration ständig zunahmen, begannen zu wirken und die eingesperrten Menschen erstickten. In ihrem Todeskampf verkrampften die Körper der Sterbenden häufig ineinander, in ihrer Todesangst schieden sie noch Exkremente aus, erbrachen oft. Nach etwa bis zu 20 Minuten wurden die Schreie leiser, auch das letzte Wimmern hörte nach spätestens 30 Minuten auf. Der qualvolle Tod war eingetreten. Das jüdische Arbeitskommando, das durchschnittlich aus 150 Männern bestand, öffnete die Aussentüren der Zellen. Sie hatten die Leichen der Häftlinge voneinander zu lösen und aus den Zellen herauszuziehen. Andere Arbeitsjuden hatten sodann die Körperhöhlen der Leichen auf versteckte Wertsachen zu untersuchen; wiederum andere mussten vorhandene Goldzähne oder goldene Brücken aus den Gebissen der Toten