Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.575

 

2. Die Lagermannschaft

 

Schon bei der ersten Verteilung der Aufgaben durch Christian Wirth war den deutschen Lagerangehörigen klar geworden, dass ihre jeweilige Machtposition im Lager, die Einordnung in die dort herrschende Hierarchie und die jeweiligen Möglichkeiten des einzelnen, am Gesamtgeschehen mitzuwirken, Verantwortung zu übernehmen, nicht so sehr von dem jeweiligen Dienstgrad abhing, sondern dass es auf die konkrete Ausfüllung einer Tätigkeit, die zu Tage getretene Einstellung ankam; diese Gesichtspunkte waren es, die mit Billigung Christian Wirths und der Lagerleitung die tatsächliche Befehlsgewalt des einzelnen ausmachte. War der erste Arbeitseinsatz noch vornehmlich davon bestimmt, wie Christian Wirth denjenigen aus der Zeit vor dem Eintreffen in Sobibor kannte, ihn einschätzte, ergaben sich schon nach wenigen Wochen einige Verschiebungen des Lagerpersonals untereinander. Nur wenigen gelang es, ihre Position innerhalb der durchschnittlich 25-30 Mann starken Lagermannschaft auszubauen, in der Hierarchie deutlich aufzusteigen. Die meisten verblieben in vergleichbaren Funktionen innerhalb der Mannschaft, einige wurden, zumeist aus disziplinarischen Gründen, von Sobibor in eines der anderen Lager versetzt:

 

An der Spitze des Lagers Sobibor stand in der ersten Zeit des Lagerbestehens der frühere Oberleutnant der Polizei und spätere SS-Hauptsturmführer Stangl 327 als Lagerleiter. Er war zuletzt in Hartheim eingesetzt gewesen. Zusammen mit den mit ihm eingetroffenen Männern organisierte er den Vernichtungsbetrieb in Sobibor einschliesslich der Vorbereitung wirtschaftlicher Ausnutzung der mit ins Lager gebrachten Gegenstände so, wie er im wesentlichen für die gesamte Zeit des Lagerbestehens beibehalten blieb. Er füllte seine Tätigkeit so zur Zufriedenheit der Führungsspitze der "Aktion Reinhard" aus, dass er im Spätsommer 1942 die Leitung des Lagers Treblinka übernahm. Er löste dort SS-Obersturmführer Dr.med. Eberl, vormals Leiter der Euthanasieanstalt Bernburg, auf Veranlassung Globocniks ab, weil der Lagerbetrieb in Treblinka aufgrund hoher Transportzahlen und mangelhafter Disziplin zusammengebrochen war. Nachfolger Stangls in Sobibor wurde der frühere Büroleiter der Euthanasieanstalt Hartheim, der SS-Obersturmführer Reichleitner.

 

Der jeweilige Lagerkommandant war nicht nur ranghöchstes Mitglied der Lagermannschaft, sondern auch aufgrund seiner Stellung als Lagerleiter gegenüber Globocnik und Wirth dafür verantwortlich, dass der gesamte Lagerbetrieb reibungslos ablief. Er war Vorgesetzter der deutschen und ukrainischen Lagermannschaft, für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager verantwortlich, nach aussen Repräsentant des Lagers. Ihm war ein Stellvertreter zugeordnet.

 

Es ist nicht mehr sicher feststellbar, ob die Position des stellvertretenden Lagerleiters schon von Beginn des eigentlichen Lagerbetriebs an in Sobibor eingerichtet war. Zunächst nahmen der vormalige Polizeileutnant Paul Rost und nach ihm der SS-Oberscharführer Herbert Floss diese Funktion wahr. Der SS-Untersturmführer Johann Niemann war als Mitglied der Waffen-SS nach Sobibor gekommen. Er war 1942 schon mehrfach im Lager und auch jeweils für mehrere Wochen, nahm dann immer schon die Funktion des stellvertretenden Lagerleiters wahr. Spätestens mit Beginn des Jahres 1943 wurde er ständiges Lagermitglied. In seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Lagerleiters übernahm er in besonderer Zuständigkeit die Verantwortung für das Lager III, ohne jedoch sich hierum besonders zu kümmern, gar in die Kompetenzen der für dieses Lager eingesetzten deutschen Wachleute einzugreifen.

 

Als Lager-"Spiess" fungierte zunächst SS-Unterscharführer Herbert Floss, der von der Waffen-SS gekommen war. Ihn löste in dieser Funktion bald Gustav Wagner ab, der von der allgemeinen

 

327 Siehe Lfd.Nr.746.