Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.566

 

1. Der Lagerausbau

 

Als Wirth die Verteilung der einzelnen Aufgaben im Lager vornahm, war er sich darüber im klaren, dass der von Thomalla erstellte Lagerkomplex noch ausbaubedürftig war, um den Vernichtungsbetrieb so reibungslos wie erwünscht zu ermöglichen. Er beauftragte den Angeklagten Frenzel, den er schon seit der gemeinsamen Zeit in Hadamar kannte und der durch seine Tätigkeiten in den Euthanasieanstalten gezeigt hatte, dass er handwerkliche Tätigkeiten, insbesondere beim Auf- bzw. Abbau von Gebäuden und Gebäudeteilen beherrschte, damit, einen Bautrupp zusammenzustellen und die erforderlichen Arbeiten an der Komplettierung des Lagers durchzuführen. Frenzel erhielt das Kommando über 2 deutsche Unterführer, durchschnittlich 3 bis 5 ukrainische Wachmänner und bis 12 jüdische Arbeitshäftlinge. Mit seinem Kommando arbeitete er in den folgenden Wochen daran, einerseits die äussere Sicherung des Lagers durch Vervollständigung der Stacheldrahtumzäunung und Errichtung einiger Wachtürme vorzunehmen, andererseits in den umliegenden Ortschaften wie Sobibor und Wlodawa nach vorheriger Genehmigung durch die Kreishauptmannschaft in Chelm einzelne Holzhäuser, die Juden gehört hatten, abzubrechen und innerhalb des Lagergeländes wieder aufzurichten.

 

Bei ihrer Ankunft im Lager Sobibor hatten Frenzel und die anderen Deutschen folgendes angetroffen:

 

Das Lagergelände befand sich auf einer weitgehend ebenen Fläche, die sich parallel zu der hier ziemlich genau von Süden nach Norden verlaufenden Bahnstrecke Chelm - Wlodawa - Brest-Litowsk befand, und zwar westlich der Bahnlinie. Das Gelände war in ein grosses Waldgebiet eingebettet, der Boden ist durchweg sandig, in Senken auch sumpfig. Der Bautrupp hatte das Lagergelände so eingerichtet, dass die zur Bahnstation Sobibor, die ihrerseits ca. 6 km vom Dorf Sobibor entfernt liegt, gehörenden Nebengleise der im übrigen eingleisigen Bahnstrecke benutzt werden konnten. Die beiden jeweils 750 bis 800 m langen Nebengleise, an beiden Seiten des Hauptgleises gelegen und jeweils durch Weichen nach Norden und nach Süden hin mit der Hauptstrecke verbunden, ermöglichten das problemlose Rangieren der eintreffenden Transportzüge. Ein von dem westlichen Nebengleis abzweigendes Abstellgleis verlief bis zu einem Prellbock auf einer Länge von rund 180 m parallel zu den anderen Gleisen und bot damit genügend Platz, um ohne weiteres 10 bis 12 Eisenbahnwaggons abstellen zu können. Die räumliche Zuordnung bot die Gewähr dafür, dass man ohne grossen Aufwand diesen Abstellgleisbereich mit in das Vernichtungslager einbeziehen konnte. Zwar befanden sich dem Abstellgleis gegenüber einige wenige Gebäude, die die Bahnstation und die dazugehörigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude einiger polnischer Bahnangestellter ausmachten, jedoch war das Gelände insgesamt so in einer äusserst schwach besiedelten Gegend angelegt, dass nicht zu befürchten stand, der Lagerzweck würde sich einem grösseren Kreis von Menschen offenbaren.

 

Schon bevor Thomalla mit seinem Bautrupp eingetroffen war, hatten auf dem späteren Lagergelände einige Baulichkeiten gestanden, die mit in das Lager integriert wurden. In unmittelbarer Nähe der Bahnrampe war es das ehemalige Postgebäude mit zwei oder drei kleineren Nebengebäuden gewesen, etwas weiter im Lagerinneren einige weitere Häuser, die die Oberförsterei nebst Wirtschaftsgebäuden ausgemacht hatten. Das vormalige Postgebäude, ein 1½ geschossiges grünes Holzhaus ist heute noch vorhanden. Zwischen dem 35 m vom Abstellgleis entfernt liegenden ehemaligen Posthaus und dem Gleis befand sich, vom Gleis aus gesehen, zunächst eine Bahnrampe und sodann ein breiter Sandweg, der, von einem Sägewerk aus, welches sich unmittelbar südlich des Lagergeländes befand, zunächst parallel zur Bahnlinie, sodann nach einer leichten Linkskurve weiter in Richtung Wlodawa verlief. Dieser Weg wurde, soweit er sich innerhalb des Lagergeländes befand, in seinem vorderen Teil als Lagerstrasse benutzt. Dicht neben diesem Weg befand sich ca. 500 m nördlich der Bahnstation auf dem Lagergelände eine kleine Holzkapelle, die der Bevölkerung nach Beginn der