Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.565

 

dort fuhren sie noch am selben Abend mit einer Gruppe von insgesamt etwa 20 bis 24 zum Osteinsatz abkommandierten Angehörigen der Euthanasieaktion ab. Führer des Transports war der frühere Oberleutnant der Polizei und spätere SS-Hauptsturmführer Stangl 320. Er setzte sich mit den Männern nach Lublin in Marsch und meldete sich dort bei dem SS- und Polizeiführer Globocnik.

 

In Lublin wurde ihnen durch den Stabsangehörigen Mic. 321 erklärt, sie müssten ein Arbeits- oder Umschulungslager bewachen. In diesem Zusammenhang war von jüdischen Häftlingen die Rede; nicht zu widerlegen ist die Einlassung des Angeklagten, von deren Tötung sei zu dieser Zeit noch nicht geredet worden. Der Angeklagte wurde, wie auch die anderen Mitglieder der Gruppe zur strengen Geheimhaltung verpflichtet. Sie mussten eine - vorstehend bereits mitgeteilte - Verpflichtungserklärung unterschreiben. Eingekleidet wurden sie in feldgraue SS-Uniformen. Der Angeklagte erhielt als SA-Obertruppführer den angeglichenen Dienstgrad eines Oberscharführers der SS. Sie wurden anschliessend nach Chelm in Marsch gesetzt. Im Hinblick auf ihre bis dahin bereits erhaltene Ausbildung bedurften sie keiner weiteren militärischen Ausbildung im Ausbildungslager Trawniki. In Chelm angekommen, mussten die Männer, die nicht einem SS-Verband angehörten, sondern nur - wie Frenzel - über einen Angleichungsdienstgrad verfügten, die SS-Runen von den Uniformspiegeln wieder abnehmen. Stangl trug zunächst weiterhin die Uniform eines Polizeioberleutnants, erst später trug er im Lager eine SS-Uniform.

 

Der Angeklagte und zwei oder drei weitere Männer des Kommandos fuhren nach kurzer Zeit nach Sobibor ab. Die anderen Männer folgten ihnen einige Tage später. Frenzel traf etwa am 22.April 1942 in Sobibor ein. Zu jener Zeit war, wie bereits festgestellt, noch Thomalla mit seinem Bautrupp anwesend. Als wenige Tage nach Frenzel und seiner Begleitung der Lagerführer Stangl mit weiteren 12 oder 13 Mann eintraf, rückten Thomalla und mit ihm die SS-Leute, die zum Bautrupp gehört hatten, ab. Die ca. 40 bis 50 jüdischen Arbeitshäftlinge, die aus der näheren Umgebung stammten und unter Thomalla zum Aufbau des Lagers bis dahin eingesetzt worden waren, verblieben dort, ebenso die etwa 120 bis 130 ukrainischen Kriegsgefangenen, die sich freiwillig als Hilfswillige gemeldet hatten, in Trawniki ausgebildet worden waren und unter Thomalla die Bewachung des Lagers durchgeführt hatten.

 

Die Einteilung der eingetroffenen Lagerangehörigen zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen nahm Christian Wirth vor. Er kam zu diesem Zweck drei oder vier Tage nach Stangl in das Lager. Er war zu jener Zeit zwar noch Leiter des Lagers Belzec, von Globocnik aber bereits mit so weitreichenden Vollmachten ausgestattet worden, dass er die Einteilung der deutschen Wachleute auch in Sobibor vornahm. Bei dieser Gelegenheit und kurz bevor der erste grössere zur Vernichtung bestimmte Judentransport in Sobibor eintraf, wurde den deutschen Lagerangehörigen einschliesslich Frenzel erklärt, welchem eigentlichen Auftrag sie sich zu stellen hatten. Es ist als sicher davon auszugehen, dass noch Ende April 1942 - nach Fertigstellung der Gaskammern - ein oder zwei Probevergasungen stattfanden und der eigentliche Vernichtungsbetrieb Anfang Mai 1942 aufgenommen wurde. Spätestens mit diesem Zeitpunkt und damit vor Ankunft des ersten grösseren Transportes jüdischer Menschen in Sobibor waren Stangl und die ihm unterstellten Männer einschliesslich Frenzel informiert worden, dass sie als Angehörige eines Vernichtungslagers an der massenhaften Tötung jüdischer Menschen mitwirken sollten und wie diese vor sich gehen sollte.

 

320 Siehe Lfd.Nr.746.

321 Siehe Lfd.Nr.812.