Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.563

 

Fest steht darüber hinaus, dass wiederholt Fusstransporte und kleine Abteilungen von jüdischen Menschen, die mit LKW oder Pferdefuhrwerken befördert wurden, im Lager Sobibor eingetroffen sind; sie können zahlenmässig nicht sicher erfasst werden.

 

Von den mindestens 1,5 Millionen, wahrscheinlich 1,7 Millionen Opfern allein der "Aktion Reinhard" wurden wenigstens 150.000 jüdische Menschen in dem Vernichtungslager Sobibor getötet. Es ist nicht bekannt geworden, weshalb im Lager Sobibor mit mindestens 150.000 Menschen im Vergleich zu den beiden anderen Lagern - Treblinka mindestens 900.000 Menschen und Belzec mindestens 450.000 Menschen - soviel weniger Menschen getötet worden sind. Einer der Gründe hierfür liegt wahrscheinlich darin, dass das Lager Sobibor, im Gegensatz zu den beiden anderen Lagern, an einer Nebenstrecke der Eisenbahn gelegen war, die zudem noch wenige Kilometer nördlich von Sobibor am vormaligen Übergang über den Fluss Bug, der schon vor Einrichtung des Lagers Sobibor gesprengt worden war, endete. Ein weiterer Grund für die weniger starke Auslastung dieses Vernichtungslagers lag wohl darin, dass mindestens eine grössere Transportunterbrechung während des Lagerbestehens deswegen eintrat, weil sich der Untergrund des Bahnkörpers auf der Strecke von Chelm nach Sobibor als zu schwach herausstellte. Die mit Aufnahme des Lagerbetriebs einsetzende Vielzahl von Transporten hatte dazu geführt, dass der Bahndamm in einem besonders sandigen Bereich wegzusacken begann, so dass der Transportbetrieb zwischenzeitlich etwa im August/September 1942 für mehrere Wochen gänzlich eingestellt werden musste, bis eine genügende Befestigung eingebracht worden war. Es ist als sicher auszuschliessen, dass im Lager Sobibor deswegen "lediglich" mindestens 150.000 jüdische Menschen vernichtet worden sind, damit nicht mehr als 10% der Gesamtzahl der Opfer der "Aktion Reinhard", weil das Personal des Lagers weniger einsatzfähig gewesen oder weil das Lager seiner Konzeption nach auf eine im Vergleich zu den beiden anderen Lagern geringere Tötungskapazität angelegt gewesen wäre. Es steht vielmehr fest, dass sich die als deutschen Angehörigen der "Aktion Reinhard" untereinander als gleichwertig ansahen, unabhängig davon, in welchem Lager sie ihren Dienst taten. Es war auch kein ungewöhnlicher Vorgang, dass Lagerangehörige von einem Lager zu einem anderen hinüber wechselten, je nachdem, wie es die Führung für erforderlich ansah.

 

Es mag für den jeweiligen Angehörigen der "Aktion Reinhard" einen Unterschied ausgemacht haben, ob er im Lager Sobibor oder in einem der beiden anderen Lager war und zwar schon deswegen, weil der Alltag in Sobibor wegen der relativ selten eintreffenden Transporte häufig ruhiger war. Dass es unter den Angehörigen der "Aktion Reinhard" jedoch ein Zusammengehörigkeitsgefühl unabhängig davon gab, in welchem Lager sie gerade Dienst taten, erhellt sich nicht zuletzt daraus, dass im Frühjahr 1943 in Sobibor eine kleine Feier der deutschen Lagerangehörigen stattfand, weil innerhalb der Gesamtaktion zu dem Zeitpunkt bereits 750.000 Menschen getötet worden waren. Der Besuch Himmlers in Sobibor im Februar 1943 und die lobenden Erwähnungen und Beförderungen von Lagerangehörigen, die in Sobibor gewesen waren, belegen, dass auch die Führungsspitze der "Aktion Reinhard" dieses Lager Sobibor und seine Angehörigen als gleichgewichtige Teile der Gesamtaktion ansah.

 

3. Der Aufbau des Lagers Sobibor

 

Der beim Führungsstab unter Globocnik erarbeitete grundsätzliche Lageraufbau der drei Vernichtungslager der Aktion Reinhard wurde auch für Sobibor umgesetzt. Die für die Errichtung der Lager zuvor ausgewählten Plätze befanden sich ihrem Zweck entsprechend nicht in der Nähe grösserer Siedlungen, waren aber andererseits so gelegen, dass die Vielzahl der zu vernichtenden Juden aus Europa mit Eisenbahnzügen antransportiert werden konnte. Die Grundkonzeption der Lager war wie folgt festgelegt worden:

 

Ein äusserlich durch Stacheldrahtzaun und Wachtürme gesicherter Lagerkomplex wurde so neben Bahngleisen angelegt, dass einerseits hinreichend Rangiergleise, andererseits ein Nebengleis vorhanden war, das in den eigentlichen Lagerkomplex hineinführte und in diesen mit