Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.555

 

Da die SS- und Polizeiführer in den Distrikten Krüger, nicht aber Dr. Frank unterstanden, ergab sich so eine Befehlslinie von Himmler über Heydrich, bzw. das Reichssicherheitshauptamt, und den Höheren SS- und Polizeiführer bis zu den SS- und Polizeiführern und deren Untergebenen, den Befehlshabern und Kommandeuren der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei.

 

Himmler behielt sich jedoch vor, diese Befehlslinie zu umgehen, wenn er einer nachgeordneten Stelle besondere Aufgaben zuweisen wollte. Dies geschah insbesondere für die seit Ende 1941 / Anfang 1942 bis Ende 1943 unter dem SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei Odilo Globocnik, durchgeführte, nach dem Tode Reinhard Heydrichs am 5.Juni 1942 so bezeichnete "Aktion Reinhard". Globocnik war für Himmler der geeignete Mann, der diese Aktion mit Eifer und äusserster rücksichtsloser Härte zu betreiben versprach und betrieb. "Globus", wie Himmler Globocnik freundschaftlich nannte, gehörte zur Führungsgruppe der österreichischen nationalsozialistischen Arbeiterpartei und SS und hatte sich besonders hohes Ansehen bei der deutschen Reichsführung bei der Vorbereitung und Durchführung des "Anschlusses" Österreichs an das Reich erworben. Er wurde daraufhin Gauleiter in Wien. Er geriet dort jedoch mindestens in den Verdacht verbotener Devisenschiebereien. Globocnik kam sodann zur Waffen-SS. Nach der Besetzung Westpolens wurde er von Himmler zum SS- und Polizeiführer Lublin im November 1939 ernannt, wohl wissend, dass Globocnik ihm, der Beförderung wegen, unbedingt ergeben sein würde. Tatsächlich fühlte sich auch Globocnik dem Reichsführer SS sehr verpflichtet.

 

Die Aufgaben der "Aktion Reinhard" gingen in zwei Zielrichtungen. Einerseits musste sie die Tötung der Juden unter möglichst höchster Geheimhaltungsstufe durchführen. Zum anderen war auch bezweckt und angeordnet, dass die jüdischen Opfer möglichst bis zuletzt durch Täuschungsmassnahmen ahnungslos in den Tod gehen sollten, und zwar ausschliesslich aus dem praktischen Grund des dadurch eher zu erreichenden reibungslosen Funktionierens der Mordorganisation. Die Führung war sich ebenso darüber klar und wollte auch, dass für den Fall der misslingenden Täuschung der Opfer diese mit brutaler Gewalt am Ort irgend eines für möglich gehaltenen und in Kauf genommenen Widerstandes sofort rücksichtslos niedergemacht werden sollten. Die Führung wusste auch, dass dies insbesondere in Polen, wo die Vernichtungsmassnahmen und -einrichtungen als solche trotz aller Geheimhaltung mit der Zeit zumindest gerüchteweise bekannt wurden, wiederholt auch der Fall war, dass die Massnahmen so abgewickelt wurden.

 

Darüber hinaus wollte die nationalsozialistische Führung die grösstmögliche Ausnutzung der Arbeitskraft der Juden, so lange diese noch lebten, und die wirtschaftlich perfekte Erfassung und Verwertung des von den getöteten Juden hinterlassenen, ihnen bis in die Lager noch verbliebenen Hab und Gutes. Schliesslich war von vornherein bedacht und geplant, keinen Juden am Ende überleben zu lassen, damit keiner von den geschehenen Vernichtungen der Juden berichten könne.

 

Die Massnahmen Himmlers, der die bedingungslose Umsetzung seiner Vorstellungen durch Globocnik einkalkulierte, konzentrierten sich im Rahmen der "Aktion Reinhard" auf den Distrikt Lublin, wobei in den drei Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka die Arbeitskraft jüdischer Menschen nur insoweit ausgebeutet wurde, wie diese zu Arbeitszwecken insbesondere beim Betrieb der Vernichtungsanlagen und der Aufarbeitung der zurückbehaltenen Habe der eingelieferten Menschen benötigt wurde. Im Lager Lublin/Majdanek, in dem ebenfalls Vernichtungen erheblichen Umfanges an jüdischen Menschen stattfanden, das aber nicht zur "Aktion Reinhard" gehörte, wurden auch Fabrikationsstätten grössten Umfanges geplant und teilweise eingerichtet, in denen zehntausende von jüdischen Arbeitshäftlingen bis zur totalen Erschöpfung eingesetzt wurden.