Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.551

 

unter deutscher Verwaltung errichtet werden. Nach dem Sieg über Frankreich tauchte auch der Plan auf, die Insel Madagaskar an Deutschland abtreten zu lassen und dort ein Grossghetto für 4 Millionen Menschen einzurichten. Beide Vorhaben erwiesen sich jedoch als nicht durchführbar oder sie erschienen, sofern sie von Hitler je überhaupt ernsthaft gewollt waren, in seinen Augen als ebenso unzureichend wie die bisherigen Massnahmen der Judenaustreibung. Sie wurden jedenfalls zugunsten einer anderen "Lösungsmöglichkeit" aufgegeben.

 

Bereits in seiner Reichstagsrede vom 30.Januar 1939 hatte Hitler verkündet, wenn es dem internationalen Finanzjudentum gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann werde das Ergebnis die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa sein. Spätestens in der ersten Jahreshälfte 1941, als der Angriff auf die Sowjetunion vorbereitet wurde, fasste Hitler dann den Entschluss, die Judenfrage durch restlose physische Vernichtung der in seinem Machtbereich lebenden Juden einer "Endlösung" zuzuführen. Er hielt jedenfalls jetzt den Zeitpunkt für gekommen, seine schon früher ausgesprochene Drohung in letzter Konsequenz zu verwirklichen. Er erteilte den "Endlösungsbefehl" als Geheimbefehl, wahrscheinlich nur mündlich an Göring, Himmler und Heydrich. Diese machten sich den Entschluss Hitlers, die Juden in Europa auszurotten, zur eigenen Sache und trieben seine Verwirklichung voran. Mit der praktischen Durchführung der "Endlösung" wurde Heinrich Himmler als Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei beauftragt.

 

Der Beschluss Hitlers wirkte sich zunächst in der Tätigkeit der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD im Russland-Feldzug ab Sommer 1941 aus. Derartige Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, wie sie damals hiessen, waren auch schon 1939 im Polen-Feldzug eingesetzt worden. Sie waren mit Sonderaufgaben beauftragt, die Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei, als politisch-polizeilicher Natur bezeichnet hatte und die vor allem in der Bekämpfung aller "reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe" bestanden. Ihre Tätigkeit richtete sich vor allem gegen die Angehörigen der polnischen Führungsschichten und Widerstandsgruppen, die ausgemerzt werden sollten.

 

Es kam auch schon während des Polen-Feldzuges bei den Aktionen der Einsatzgruppen zu Massnahmen und zu schweren Ausschreitungen gegen die Juden, ein allgemeiner Befehl zur Ausrottung der Juden lag aber noch nicht vor. Im Gegensatz dazu erhielten nun die im Sommer 1941 in Russland einrückenden Einsatzgruppen und Einsatzkommandos den Befehl, alle Juden zu erschiessen. Im Mai 1941 wurden in Pretzsch an der Elbe und in den nahegelegenen Orten Düben und Bad Schmiedeberg vier Einsatzgruppen gebildet, die jeweils aus mehreren Einsatzkommandos und Sonderkommandos bestanden. Es handelte sich um motorisierte Polizeiformationen, deren Führungsstäbe sich aus Angehörigen der Sicherheitspolizei und des SD zusammensetzten, während die Waffenträger vor allem der Ordnungspolizei und der Waffen-SS entstammten. Sie wurden von selbständigen Polizeieinheiten und örtlich aufgestellten einheimischen Milizen unterstützt. Die vier Einsatzgruppen folgten beim Einmarsch in die Sowjetunion am 22.Juni 1941 jeweils einer der vier Heeresgruppen nach. Ihre Aufgabe bestand zunächst wiederum darin, potentielle Gegner in den besetzten Gebieten zu liquidieren.

 

Dem Befehl Hitlers gemäss gab Heydrich den Führern der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos nähere Weisung, über deren Inhalt er die Höheren SS- und Polizeiführer im Osten mit Erlass vom 2.Juli 1941 unterrichtete. Darin hiess es u.a., zu exekutieren seien alle Funktionäre der Komintern, die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen und sonstige radikale Elemente. Während in diesem sogenannte Kommissar-Befehl von einer allgemeinen Liquidierung der Juden nicht die Rede war, bestand daneben aber der zumindest mündlich erteilte Befehl Hitlers, die gesamte jüdische Bevölkerung in den neu zu besetzenden Ostgebieten auszurotten, soweit sie nicht im Arbeitseinsatz stand und