Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.549

 

hinaus hat das Gericht die Aussage des Zeugen Symcha Bia., der einen identischen Fall geschildert hatte, allerdings nur unterstützend herangezogen, weil es gegen seine allgemeine Glaubwürdigkeit erhebliche Bedenken gehabt hat. An ein behauptetes Aussagekomplott insbesondere auch zwischen Symcha Bia. und Frau Lic. hat das Schwurgericht nicht geglaubt. In jenem Fall hat das Schwurgericht auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt.

 

Ausser im Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist der Angeklagte strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

 

II. Die Haupttäter

 

1. Die Judenpolitik und Judenverfolgung in der nationalsozialistischen Zeit

 

Die antisemitische Rassenpolitik der Nationalsozialisten klang bereits im Parteiprogramm der NSDAP vom 24.Februar 1920 an. Danach sollten Juden keine Volksgenossen und damit keine Staatsbürger sein, sondern unter die Fremdengesetzgebung fallen. Mit der "Machtübernahme" am 30.Januar 1933 wurden die rassenideologischen Tendenzen der Partei zur offiziellen Regierungspolitik. Es begann eine Phase schrittweiser Zurückdrängung der Juden aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben durch eine Reihe gesetzgeberischer Massnahmen. Mit dieser gesetzlichen Ausschaltung der Juden einher ging eine amtlich geduldete, sich ständig ausweitende Praxis der Schikanierung, Boykottierung und offenen Terrorisierung jüdischer Bürger durch die SA und die immer mächtiger werdende SS sowie ihre Diffamierung und Diskriminierung in der Öffentlichkeit durch staatlich gelenkte Propaganda. Schon am 1.April 1933 kam es zu einem eintägigen Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte, der als Antwort auf die "Greuelhetze" der ausländischen Juden proklamiert wurde. Durch diese Massnahmen sollte zunächst eine Auswanderung der Juden beschleunigt werden. Diese Phase der Judenverfolgung dauerte bis 1938. Von den zahlreichen gesetzgeberischen Massnahmen, denen insbesondere in der gleichgeschalteten Presse eine entsprechend gelenkte heftige Propagandawelle vorausging, seien folgende erwähnt: Aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.April 1933 wurden Beamte nichtarischer Abstammung mit wenigen Ausnahmen in den Ruhestand versetzt. Dem folgte eine Reihe ähnlicher Gesetze berufsbeschränkender Art auf verschiedenen Lebensgebieten. Schwerpunkt dieser Entwicklungsphase waren die am 15.September 1935 auf dem Nürnberger Parteitag vom Reichstag angenommenen Nürnberger Gesetze, nämlich das "Reichsbürgergesetz" und das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Das "Reichsbürgergesetz" führte neben der bisherigen Staatsangehörigkeit die sogenannte Reichsbürgerschaft ein, die allein die vollen politischen Rechte, wie das Stimmrecht in politischen Angelegenheiten und das Recht zur Bekleidung öffentlicher Ämter gewährte und die den Juden versagt war. Das "Blutschutzgesetz" schliesslich verbot unter schwerer Strafandrohung die Eheschliessung sowie auch den ausserehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes und Juden.

 

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen 1936 in Berlin trat zwar ein gewisser Stillstand ein, ab 1938 begann jedoch eine neue Welle der Entrechtung und Verfolgung der Juden. Durch weitere Verordnungen zum Reichsbürgergesetz wurde ein Berufsverbot für jüdische Ärzte und Rechtsanwälte ausgesprochen. Es wurde der Begriff des "jüdischen Gewerbebetriebes" geschaffen. Die Pässe der Juden mussten besonders mit einem eingestempelten "J" gekennzeichnet werden. Durch Verordnung vom 17.August 1938 wurden alle Juden, die einen nichtjüdischen Vornamen führten, gezwungen, zusätzlich den männlichen Vornamen "Israel" bzw. den weiblichen Vornamen "Sarah" anzufügen. Seit Ende 1937 wurde die "Arisierung