Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.548

 

Angeklagten freigesprochen. Verurteilt worden war er im Fall 13 wegen der allgemeinen Beteiligung als Mittäter unter Einschluss von 4 Vorkommnissen, die als Einzelfälle angeklagt waren, und in weiteren 6 Einzelfällen; vgl. nachstehend IV.6. bis 8. und V. Zum Ausgang des Verfahrens gegen die übrigen deutschen Mitglieder der Lagermannschaft vgl. nachstehend VI.

 

Durch Beschluss des Landgerichts Hagen vom 20.Dezember 1976 wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens in allen Verurteilungsfällen für zulässig erklärt. Durch Beschluss vom 29.Dezember 1978 wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung in den Fällen 13, 17, 21, 22, 35 und 42 schliesslich angeordnet. Demgegenüber wurde im Fall 32 der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet verworfen; die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf das Oberlandesgericht Hamm durch Beschluss vom 3.April 1980.

 

Im vorgenannten, rechtskräftig gebliebenen Fall 32 der Anklageschrift ist dem Angeklagten Frenzel zur Last gelegt worden, zwischen Mai 1942 und Oktober 1943 einen etwa 11jährigen jüdischen Knaben zur Strafe erschossen zu haben, weil er den Jungen bei der Wegnahme einer Dose Ölsardinen angetroffen habe. Hierzu hat das Schwurgericht Hagen in seinem Urteil vom 20.Dezember 1966 die folgenden Feststellungen getroffen 311:

Etwa im Oktober 1943 erwischte Frenzel einen als Schuhputzer im Lager eingesetzten Jungen von etwa 12 bis 13 Jahren, der Moniek hiess und im Lager (wie ausser ihm noch einige andere Jungen) "Fips" gerufen wurde, dabei, dass er eine Dose Ölsardinen bei sich hatte, offenbar, um sie zu verstecken und abends zu essen. Frenzel trieb den Jungen bis zur Sortierbaracke und liess mehrere der bei der Sortierung tätigen Arbeitshäftlinge heraustreten - unter ihnen Frau Eda Lic. -, die er bestimmte mit anzusehen, was er mit dem Jungen machen werde. Dann musste Moniek die Dose in der Hand hochhalten. Frenzel rief, Juden dürften keine ausländischen Sardinen essen. Er zog dann seine Pistole und erschoss den Jungen zum Entsetzen der herbeigerufenen Häftlinge.

Frenzel tat dies aus Überheblichkeit über den von ihm als rassisch minderwertig angesehenen Juden, aus Lust am Töten, ohne jegliches Mitleid mit jenem ausgehungerten Jungen, und zwar über die ihm befohlene allgemeine Mitwirkung an der planmässigen Vernichtung der Juden hinaus; denn in solchen Fällen von Lagerjustiz hätte jedenfalls eine Tötung nur im Lager III vorgenommen werden sollen, wenn schon eine Tracht Prügel in diesem Rahmen nicht genügt hätte, die "Lagerdisziplin" aufrechtzuerhalten.

Der Angeklagte hatte den Fall bestritten und sich dahin eingelassen, er habe den Jungen weder kontrolliert, noch die Sardinen zufällig gesehen, noch habe er den Jungen erschossen. Auch die Staatsanwaltschaft hat seinerzeit Freispruch begehrt. Das Schwurgericht aber hat die belastende Aussage der Frau Eda Lic. für glaubwürdig und den Fall aufgrund ihrer Aussage für erwiesen erachtet. Auch das Schwurgericht hat Bedenken gehabt, die Aussagen Frau Lic.s insgesamt für verwertbar zu erachten, daraus aber nicht gefolgert, dass auch in diesem Einzelfall ihre Aussage nicht zur Überführung des Angeklagten ausreiche. Das Gericht hat an ihrer Aussage insbesondere als positiv bewertet, dass sie in zahlreichen Einzelheiten ein differenziertes Bild der Vorgänge im Lager gegeben habe, das allgemein und in Einzelbeschreibungen mit dem übereinstimme, was auch andere vernommene Zeugen bekundet hätten. Ihre Aussage enthalte auch keine wahllosen und ausnahmslosen Beschuldigungen gegen die Angeklagten, insbesondere würden Sch. 312 und Unv. 313 ausdrücklich nicht belastet. Darüber

 

311 Siehe auch Bd.XXV S.136 f.

312 Siehe Lfd.Nr.642.

313 Siehe Lfd.Nr.155 (dort: U.) und 642.