Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.53

 

die Erlaubnis zum Weitermarschieren zu erhalten. Dies wurde ihm vorläufig untersagt und eine weitere Weisung in Aussicht gestellt.

 

Wenige Zeit vor dem 31.1.1945 teilte der Anstaltsleiter Kno. dem Reichsjustizministerium telefonisch mit, dass ein russischer Panzerdurchstoss erfolgt sei und die russischen Verbände nur noch 30 km von Sonnenburg entfernt stünden. Er bat um Weisung. Der genaue Zeitpunkt dieses Telefonanrufes kann nicht festgestellt werden. Der Zeuge Kno. spricht in einer Vernehmung 1957 von "einigen Tagen", während Senatspräsident Hec. in einer eidesstattlichen Erklärung am 30.1.1945 ein Telefongespräch aus Sonnenburg entgegen genommen haben will. Der Zeuge Kno. hatte zufällig in einem Gespräch mit der Heeresmunitionsanstalt von Sonnenburg von dem Durchbruch der russischen Panzer gehört.

 

Senatspräsident Hec., der in dieser Nacht Referent vom Dienst war, erteilte der Anstalt in Sonnenburg die Weisung, die Anstalt zu verteidigen. Wer über diese Frage im Reichsjustizministerium entschieden hat, muss offen bleiben. Die Angaben des Zeugen Hec., Minister Thierack hierzu in seiner Wohnung angerufen und ihn um eine Weisung gebeten zu haben, stehen im Widerspruch zur Aussage des Zeugen Klemm, nach der Heinrich Himmler die Anstalt in eigener Verantwortung übernommen haben soll. Es liegt näher, dass Hec. den Minister um diese Weisung gebeten hat, ohne dass dies sicher festgestellt werden kann.

 

In einem weiteren Telefongespräch, in dem der Zeuge Kno. dem Senatspräsidenten Hec. vom Reichsjustizministerium mitteilte, dass mit dem weiteren Vordringen der russischen Panzer doch noch nicht zu rechnen sei und er abrücken könne, wurde ihm ebenfalls der Abmarsch untersagt. Es muss offen bleiben, ob der Zeuge Hec. für diese Weisung den Generalstaatsanwalt zu erreichen versucht und statt dessen einen Ersten Staatsanwalt vom Nachrichtendienst erreicht hat, der angeordnet haben soll, dass vor irgendwelchen Evakuierungsmassnahmen die Gestapo zu benachrichtigen sei. Dies berichtet nur der Zeuge Hec., während der Zeuge Kno. hierüber nichts sagt. Diese Angabe des Zeugen Hec. in einer eidesstattlichen Erklärung reicht dem Gericht für eine sichere Feststellung nicht aus, zumal Hec. der Beteiligung bezichtigt werden muss. Es erscheint demgegenüber jedoch nicht ausgeschlossen, dass dieses Gespräch und auch weitere Gespräche zwischen der Anstalt in Sonnenburg und dem Reichsjustizministerium oder der Behörde des Generalstaatsanwalts geführt worden sind, ohne dass einer der Zeugen hierüber Aussagen gemacht hat.

 

Nachdem dem Anstaltsleiter Kno. der Abmarsch vorläufig untersagt worden war, traf er Vorbereitungen zur Verteidigung des Zuchthauses. Der Zeuge Bla. und er bewaffneten sich. Aber auch einige sogenannte "Obleute" unter den Gefangenen sind in Zivil gekleidet und teilweise bewaffnet worden. Kno. liess seine Familie zum Hause des Zeugen Bla. bringen, das am Westrand der Stadt lag. Der Zeuge Jö. berichtet, dass die Zuchthausbeamten zu dieser Zeit wie von Sinnen waren, und dass es den Anschein hatte, als ob diese betrunken waren. Am frühen Vormittag des 30.1. versuchte der Zeuge Jö. telefonisch beim Reichsjustizministerium eine Erlaubnis zum Weitermarsch mit seinen Gefangenen zu erhalten. Der Zeuge Hec. untersagte erneut den Abmarsch und verwies darauf, dass im Laufe des Vormittags eine Weisung kommen werde. Im Laufe des Vormittags trafen die Zeugen Kno. und Jö. zusammen. Hierbei berichtete Kno. von einer geheimen Reichssache, die er niemandem weitererzählen dürfe. Hiernach erwartete er im Laufe des Nachmittags ein Kommando, das Erschiessungen vorzunehmen hätte. Auch die Gefangenen aus Wronke würden dabei betroffen sein. Jö. hätte die Gefangenen aus Wronke auszusuchen, die ein Sicherheitsrisiko bilden würden. Als Absender dieser Nachricht muss das Reichsjustizministerium angesehen werden. Der Zeuge Jö. stützte sich bei seiner Aussage teilweise auf seine schriftlichen Aufzeichnungen vom 10.2.1947, nach denen der Befehl, mit den Gefangenen nicht abzumarschieren, bevor ein Gestapo-Kommando die Erschiessung aller für die öffentliche Sicherheit bedenklichen Gefangenen vorgenommen habe, nach Kno. Erklärung durch das Reichsjustizministerium auf Weisung des Reichssicherheitshauptamtes ergangen sei.