Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.52

 

Strafen verbüsst, die nach heutiger Sicht als leichte Kriminalität angesehen werden müssen, damals aber harte Bestrafungen nach sich zogen.

 

5.3 Räumungsvorbereitungen

 

Im Laufe des Monats Januar 1945 hatte der Anstaltsleiter Kno. bereits durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten, den Generalstaatsanwalt Hanssen, zu dessen Dienstbereich das Zuchthaus Sonnenburg gehörte, erfahren, dass die Gestapo in Frankfurt/Oder mit dem Zuchthaus befasst werden würde. Hanssen teilte ihm dies mündlich bei einem Besuch in Sonnenburg mit. Soviel kann mit Sicherheit festgestellt werden. Ob darüber hinaus dem Anstaltsleiter auch mitgeteilt worden ist, wie er in einer Vernehmung durch den Staatsanwalt 1961 angibt, dass die Vollzugsgewalt auf Himmler beziehungsweise die Gestapostelle in Frankfurt/Oder übergegangen sei, und dass er sich künftig den Weisungen der Gestapo zu fügen hätte, muss zweifelhaft bleiben. Bei dieser Aussage ist zu berücksichtigen, dass Kno. beschuldigt wurde, an den Vorgängen mitgewirkt zu haben. Insoweit reicht seine Aussage allein zur Überzeugung des Gerichts nicht aus.

 

Die Evakuierung der Anstalt ist auch etwa 1-2 Tage vorher noch mit dem Generalstaatsanwalt erörtert worden. Ob dabei auch schon von Erschiessungen und von der Auswahl gewisser Häftlinge die Rede gewesen ist, kann nicht festgestellt werden. Eine Aussage des Zeugen Kno. hierüber liegt nicht vor. Auch der Zeuge Jö., der sich damals bereits in Sonnenburg aufhielt, hat hierüber keine Angaben machen können.

 

Am 23.1.1945 war der Zeuge Jö., damals Anstaltsleiter des Gefängnisses in Wronke östlich von Sonnenburg, mit etwa 600 Gefangenen in Sonnenburg angekommen. Die Gefangenen wurden in der Anstalt aufgenommen und getrennt von den Sonnenburger Gefangenen gehalten. Ursprünglich war die Anstalt in Wronke mit etwa 1500 männlichen und weiblichen Gefangenen belegt. Etwa 500 Gefangene hat der Anstaltsleiter teils mit, teils ohne Genehmigung entlassen. Er hatte von dem Generalstaatsanwalt in Posen die Weisung erhalten, einige Entlassungen bei den Gefangenen vorzunehmen. Hierbei war ihm aufgegeben worden, Gefangene mit kurzen Freiheitsstrafen oder mit einem geringen Strafrest zu entlassen. Die genaue Höhe war dem Zeugen nicht mehr erinnerlich. Richtlinien, die besagten, dass Gefangene mit erheblichen Strafen der Polizei zu überstellen waren, sind dem Zeugen nicht bekannt geworden. Etwa 400 Gefangene waren auf dem Marsch entlassen worden oder geflüchtet. Über die hier genannten Häftlingszahlen ist am 25.1.1945 ein Aktenvermerk gefertigt worden, der die Unterschrift des Senatspräsidenten Hec. trägt. Der Zeuge Jö. bestätigte die ungefähre Richtigkeit der dort genannten Häftlingszahlen, meinte aber auch, dass Übermittlungsfehler nicht ausgeschlossen seien. Da die in dem Aktenvermerk genannten Zahlen nicht wesentlich von den jetzt vom Zeugen genannten Zahlen abweichen, erachtet das Gericht die jetzt vom Zeugen genannten ungefähren Zahlen für richtig.

 

Der Zeuge Jö. führte in den folgenden Tagen nach seiner Ankunft in Sonnenburg Verhandlungen mit dem Justizministerium, um eine Transportmöglichkeit für seine Gefangenen zu erhalten. Er wollte es nicht verantworten, weiterhin zu Fuss zu marschieren. Schliesslich wurde dem Zeugen ein Sonderzug genehmigt, wobei der Zeuge Kno. ihm behilflich gewesen war. Bei einem persönlichen Gespräch am 28.1.1945 zwischen dem Zeugen Jö. und Generalstaatsanwalt Hanssen in Sonnenburg untersagte dieser schliesslich die Benutzung eines Zuges mit der Begründung, dass auch die deutsche Bevölkerung Züge nicht mehr benutzen könne und marschieren müsse. Hierbei bemerkte Hanssen weiter: "Es wäre wohl besser gewesen, Sie hätten mit Ihren Gefangenen etwas anderes getan, als hierher zu marschieren." Diese dem Sinne nach geäusserte Bemerkung ist dem Zeugen besonders im Gedächtnis haften geblieben. Nachdem Hanssen die Benutzung eines Zuges verboten hatte, rief der Zeuge Jö. fernmündlich bei dem Senatspräsidenten Hec. vom Reichsjustizministerium in Berlin an, um