Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.51

 

Demgegenüber heisst es aber in einer Durchführungsverordnung des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht vom 2.2.1942 (Dokument 090 - L 574):

"... sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden."

 

Da in dem Erlass die abschreckende Wirkung der Massnahmen in dem spurlosen Verschwinden des Beschuldigten und darin zu sehen war, dass über seinen Verbleib und sein Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden durfte, ist nicht anzunehmen, dass solchen Gefangenen noch ein Prozess gemacht wurde und sie mit einer zeitlich begrenzten oder unbegrenzten Strafe ausdrücklich belegt wurden. Für die Handhabung dieses Erlasses in der Praxis haben sich allerdings keine Hinweise ergeben. Ohne zu wissen, ob dieser Erlass wortgetreu durchgeführt oder in welcher Weise sonst von ihm Gebrauch gemacht worden ist, erscheinen Feststellungen, die sich nur auf den Wortlaut stützen, daher nicht gerechtfertigt.

 

Es sind wiederholt ganze Gruppen von Häftlingen in andere Anstalten verlegt oder in Konzentrationslager überführt worden. Den vernommenen Zuchthausbeamten musste es daher schwerfallen, über die Zusammensetzung der Häftlinge nach Delikt und Nationalität erschöpfend Auskunft zu geben. Es war jedenfalls sicher festzustellen, dass ein grosser Teil der Häftlinge ausländischer Herkunft war. Unter ihnen befanden sich Franzosen, Belgier, Luxemburger, Holländer, Norweger, Dänen, Polen, Russen, Ukrainer und Jugoslawen. Auch die vom Schwurgericht vernommenen ehemaligen Häftlinge waren teilweise ausländischer Nationalität. Stee., van Sche. und Las. waren Holländer, Cha. war Luxemburger, Ess. war Belgier und Lec. und Sav. waren Jugoslawen.

 

Auch über den Anteil der kriminellen und der politischen Häftlinge waren keine sicheren Feststellungen zu treffen. Schriftliche Unterlagen hierüber lagen nicht vor. Die Angaben der hierzu befragten Zeugen waren wenig genau und nicht überzeugend. Keiner dieser Zeugen hatte aufgrund seiner Stellung im Zuchthaus eine genaue Übersicht über die Zusammensetzung der Gefangenen. Hier kommt die Aussage des Zeugen Bla. der Wahrheit wohl am nächsten, wenn er erklärt, es hätten sich alle Arten von Gefangenen dort befunden. Der Zeuge Bla. gibt die Anzahl der Sicherungsverwahrten mit etwa 200 an. An Schwerverbrechern sollen sich etwa 80, und zwar im Westflügel befunden haben. Auch an Wehrmachtsbestrafte erinnerte der Zeuge Bla. sich. Diese Zahlenangaben können nicht als verlässlich angesehen werden. Keinem der hierzu vernommenen Zeugen war eine genaue Übersicht über das Vorleben und die erkannten Bestrafungen aller Gefangenen zuzutrauen. Wie wenig zuverlässig diese Angaben sind, mag daraus ersehen werden, dass nach dem Zeugen H.F. Mül. die politischen Häftlinge sich im Westflügel befunden haben sollen, während nach der Aussage Bla.s dort die Schwerverbrecher gewesen sein sollen. Auch an den durch das Schwurgericht vernommenen ehemaligen Häftlingen kann man nicht erkennen, welche Häftlinge vorwiegend in Sonnenburg einsassen. Ein Zeuge war wegen Sabotage zu 3 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Ein anderer hatte wegen Schwarzhandelns 9 Monate oder 18 Monate erhalten, während ein weiterer zu einem Jahr Zuchthaus wegen Diebstahls verurteilt worden war. Ein Vierter hatte 3 Jahre Zuchthaus wegen Wirtschaftssabotage bekommen, ein Fünfter war zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er hatte gemeinsam mit anderen als Arbeiter bei der Post Pakete, die an die Front gehen sollten, vernichtet. Ein Sechster, der zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde, will sich bei Aufräumungsarbeiten eine Decke zugeeignet und weitergegeben haben. Ein Siebenter war wegen gewerbsmässigen Handelns mit Lebensmittelkarten zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Ein Achter wurde wegen Rassenschande und Judenbegünstigung zu 2½ Jahren Zuchthaus verurteilt.

 

Hiernach kann festgestellt werden, dass sich im Zuchthaus Sonnenburg nicht nur Gefangene befanden, die wegen ganz bestimmter Delikte verurteilt worden waren - wie z.B. politische Straftaten oder schwerere kriminelle Straftaten. Es haben in Sonnenburg auch Gefangene ihre