Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511b BGH 22.05.1962 JuNSV Bd.XVII S.491

 

Lfd.Nr.511b    BGH    22.05.1962    JuNSV Bd.XVII S.494

 

von dem Angeklagten Dr. Scheu gebeten wurde, nach einem von diesem erwarteten Transport Juden aus Vainutas zu schauen, dass er dies auch tat und dass er alsdann die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Transportes dem Angeklagten Dr. Scheu mitteilte. Die Feststellungen ergeben weiterhin, dass Bu. hierbei wusste, dass die Juden erschossen würden. Alles dies rechtfertigt ohne weiteres die Auffassung, dass zumindest der Verdacht besteht, Bu. habe durch bewusste Förderung oder Erleichterung der Erschiessungsaktion Beihilfe geleistet. Er durfte daher gemäss §60 Nr.3 StPO nicht vereidigt werden.

Der Senat kann nicht ausschliessen, dass das Urteil auf dem dargelegten Mangel beruht.

Die von der Revision des Angeklagten Dr. Scheu erhobenen weiteren Verfahrensrügen, die teilweise nicht ordnungsgemäss erhoben worden, teilweise unbegründet sind, sowie die von dieser Revision und von der Revision des Angeklagten Struve erhobenen Sachrügen brauchen hiernach nicht näher erörtert zu werden.

 

III.

 

Die Revision des Angeklagten Bastian führt zur Aufhebung des Urteils, soweit dieser Angeklagte verurteilt worden ist.

Auch diese Revision beanstandet zu Recht, dass der Zeuge Bu. unter Verletzung des §60 Nr.3 StPO vereidigt worden ist. Dass auch die Verurteilung des Angeklagten Bastian auf diesem Mangel beruhen kann, vermag der Senat nicht auszuschliessen.

 

IV.

 

Die Revision des Angeklagten Schmidt meint, die Strafverfolgung sei verjährt, ausserdem erhebt sie die allgemeine Sachrüge. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg.

Dass das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht vorliegt, ist bereits oben unter I. dargelegt worden.

Die Anwendung des sachlichen Strafrechts auf den vom Schwurgericht festgestellten Sachverhalt lässt keinen sachlichrechtlichen Fehler erkennen, der den Angeklagten Schmidt beschwert.

 

V.

 

Die Revision des Angeklagten Jagst rügt nur Verletzung des sachlichen Strafrechts. Auch dieses Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

 

Zu Unrecht wendet die Revision sich gegen die unter VII.2. des LG-Urteils getroffene Feststellung, dass der Angeklagte Jagst die Verladung von mindestens 50 zur Erschiessung bestimmten Juden organisiert hat, mit dem Einwand, sie beruhe, soweit sie die Zahl der vom Angeklagten verladenen Juden betrifft, auf Schlussfolgerungen aus einer Tatsache, die nicht in rechtlich einwandfreier Weise festgestellt worden sei.

Es ist zwar richtig, dass das Schwurgericht bei jener Feststellung u.a. von dem Zeitpunkt ausgegangen ist, in dem die Zeugen Bu. und Pa. bei der Kaserne erschienen, und dass das Urteil diesen Zeitpunkt auf Seite 75 UA 144 bei der Feststellung der Zahl der vom Angeklagten Jagst verladenen Personen mit "etwa gegen 14 Uhr", auf Seite 64 unten und 76 UA 145 dagegen in anderem Zusammenhang mit "gegen 16 Uhr" angibt. Dies ist aber nur ein scheinbarer Widerspruch. Der Zusammenhang des Urteils ergibt, dass es sich bei der Angabe "etwa gegen 14 Uhr" auf Seite 75 UA 146 um einen offenbaren Schreibfehler handelt. Gemeint ist "etwa gegen 4 Uhr" = "etwa gegen 16 Uhr".

Das beweist der Umstand, dass nur diese Zeit die Feststellung rechtfertigt, der Angeklagte habe die Verladung von mindestens 50 zur Erschiessung bestimmten Juden organisiert. Das Urteil stellt nämlich auf Seite 61 UA 147 fest, dass die Erschiessungen um die Mittagszeit begannen. Sie endeten nach den Feststellungen auf Seite 66 UA 148 gegen 17 oder 18 Uhr. Erschossen wurden in dieser Zeit mindestens 220 Juden, d.h., wenn man zugunsten des Angeklagten Jagst davon ausgeht, dass die Erschiessungen um 17 Uhr endeten, durchschnittlich 44 Juden stündlich. Wäre das Schwurgericht wirklich davon ausgegangen, dass Bu. und Pa. schon um 14 Uhr bei der Kaserne eingetroffen seien, hätte es für die vom Angeklagten Jagst verladenen Juden eine weit höhere

 

144 = Seite 452 dieses Bandes.

145 = Seite 447 bzw. Seite 453 dieses Bandes.

146 = Seite 452 dieses Bandes.

147 = Seite 446 dieses Bandes.

148 = Seite 448 dieses Bandes.