Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511b BGH 22.05.1962 JuNSV Bd.XVII S.491

 

Lfd.Nr.511b    BGH    22.05.1962    JuNSV Bd.XVII S.493

 

220 Juden erschossen wurden, geleitet, sondern ausserdem auch eigenhändig einzelne Juden erschossen. Jede eigenhändige Erschiessung eines einzelnen Juden war, da sie jeweils eine selbständige Willensbetätigung darstellte und sich jeweils gegen das Leben eines anderen Menschen richtete, eine im Sinne des §74 StGB selbständige Handlung.

 

b. Rechtlich fehlerhaft ist ferner die Auffassung des Schwurgerichts, dass die Angeklagten Dr. Scheu und Struve nicht Mittäter, sondern nur Gehilfen bei fremden Mordtaten gewesen seien (vgl. unter IX.2. des LG-Urteils).

Der Senat hat bereits in seinem Urteil BGHSt. 8, 393, 396 ausgeführt, dass bei der Beantwortung der Frage, ob ein Beteiligter Mittäter oder Gehilfe ist, alle Umstände des Falles zu werten sind, die von der Vorstellung des Beteiligten umfasst waren. Diese Umstände ergeben hier, dass die Angeklagten Dr. Scheu und Struve das Tatgeschehen in einer Art und in einem Umfang mitbeherrschten, die die Auffassung rechtfertigen, dass sie Mittäter waren.

Beide Angeklagten handelten zwar nach ihren unwiderlegten Einlassungen auf Grund eines Befehls der Gestapo, der ihnen gebot, mit der SS aus Heydekrug bei der Erschiessungsaktion in Naumiestis mitzuwirken, und den zu befolgen sie sich für verpflichtet hielten. Die Feststellungen des Urteils ergeben aber, dass sie - Dr. Scheu als Führer eines SS-Reitersturmes und Struve als Führer einer SS-Reiterstandarte - die ranghöchsten Uniformträger auf dem Erschiessungsplatz waren und dort die Erschiessungsaktion leiteten. Obwohl der (angebliche) Befehl der Gestapo seinem Wortlaut nach nicht verlangte, dass sie oder die ihnen unterstellten SS-Leute aus Heydekrug sich unmittelbar an den Erschiessungen beteiligten, und obwohl auf dem Erschiessungsplatz andere Personen - bewaffnete Litauer sowie die gleichfalls bewaffneten, der Grenzpolizei (Gestapo) angehörenden Angeklagten Bastian und Schmidt - zugegen waren, die die Erschiessungen ausführen konnten, liessen sie es zu, dass ihnen unterstellte SS-Leute sich unmittelbar an den Erschiessungen beteiligten, und erschossen sogar selbst eigenhändig einzelne Juden.

 

Wer bewusst in einer solchen Stellung, unter solchen Umständen und in einer solchen Weise bei einer Erschiessungsaktion der hier festgestellten Art mitwirkt, ist - mögen die Aktion und seine Beteiligung an ihr auch von anderen befohlen worden sein und mag er auch geglaubt haben, den Befehl befolgen zu müssen, obwohl er die Aktion innerlich ablehnte - nicht Gehilfe bei fremden Tötungstaten, tötet vielmehr als Mittäter. Für die innere Tatseite genügt dabei, dass der Mittäter sich derjenigen Umstände bewusst ist, die seine - die Mittäterschaft begründende - Tatmitherrschaft ergeben. Dass die Angeklagten Dr. Scheu und Struve dieses Bewusstsein hatten, ergeben die Feststellungen des Urteils. Es wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass es unter IX.2 des LG-Urteils heisst, die Angeklagten Dr. Scheu und Struve hätten möglicher-, wenn auch irrigerweise geglaubt, auf Grund des (angeblichen) Befehls der Gestapo verpflichtet zu sein, die ihnen unterstellten SS-Leute sich an den Erschiessungen beteiligen zu lassen und schliesslich sogar sich selbst an den Erschiessungen zu beteiligen, um einen reibungslosen Ablauf der Aktion zu ermöglichen. Der (teilweise nur gedachte) Umstand, von dem das Schwurgericht hierbei ausgegangen ist, dass nämlich die Angeklagten Dr. Scheu und Struve auf Grund des Befehls der Gestapo für einen reibungslosen Ablauf der Aktion verantwortlich und daher befugt und verpflichtet waren, die hierfür erforderlichen Anordnungen und Massnahmen selbständig zu treffen, spricht nicht gegen, sondern für deren Tatmitherrschaft. Ihr Glaube an das Vorliegen jenes Umstandes schliesst daher nicht aus, dass sie sich aller derjenigen Umstände bewusst waren, die ihre Tatmitherrschaft ergeben.

Die Entscheidung des Senats 5 StR 353/56 vom 22.Januar 1957 betrifft einen Fall, der wesentlich anders liegt.

 

2. Die Revisionen der Angeklagten Dr. Scheu und Struve führen zur Aufhebung des sie betreffenden Teils des Urteils, weil folgende Verfahrensrüge durchgreift: Die Revisionen beanstanden zu Recht, dass der Zeuge Bu. entgegen der Vorschrift des §60 Nr.3 StPO vereidigt worden ist.

 

Die Feststellungen des Urteils ergeben, dass Bu., wenn auch nur kurze Zeit, in SS-Uniform während der Erschiessungen auf dem Erschiessungsplatz war, dass er dort