Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.486

 

Strafmilderung zulassen, haben die gesetzliche Mindeststrafe nicht verändert, sondern in Anlehnung an die Vorschrift des Artikels II Ziff.4b des Kontrollratsgesetzes Nr.10 nur einen fakultativen Strafmilderungsgrund innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens anerkannt (vgl. BGH NJW 1953 S.1034 und NJW 1955 S.231). Da auf die Straftaten der Angeklagten das Militärstrafrecht Anwendung findet, sind aber §47 Abs.2 MStGB und der an seine Stelle getretene §5 Abs.2 des Wehrstrafgesetzes zu beachten.

Die Vorschrift des §47 Abs.2 MStGB lautete:

"Ist die Schuld des Untergebenen gering, so kann von seiner Bestrafung abgesehen werden."

In §5 Abs.2 des Wehrstrafgesetzes vom 30.März 1957 (BGBl. I S.298) ist bestimmt:

"Ist die Schuld des Untergebenen mit Rücksicht auf die besondere Lage, in der er sich bei der Ausführung des Befehls befand, gering, so kann das Gericht die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuches mildern, bei Vergehen auch von Strafe absehen."

 

2. Die Strafzumessung

 

a. Allgemeine Strafzumessungsgründe

 

Um die Schuld der Angeklagten gerecht beurteilen zu können, ist es unerlässlich, den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Geschehnisse und seine Auswirkungen auf die Angeklagten zu berücksichtigen.

Alle Angeklagten erlebten in ihrer Jugend die politische und wirtschaftliche Not Deutschlands, die eine Folge des ersten Weltkrieges war. Die Angeklagten Dr. Scheu und Jagst empfanden als Memeldeutsche die Abtrennung ihrer Heimat vom Deutschen Reich als schweres Unrecht und beteiligten sich deshalb aktiv am Volkstumskampf gegen die litauische Herrschaft. Als Adolf Hitler in Deutschland zur Macht kam, erhofften sie sich von ihm die Wiedervereinigung des Memellandes mit dem Deutschen Reich. Nachdem Hitler im Frühjahr 1939 den Anschluss des Memellandes an das Reichsgebiet erreicht hatte, waren sie dem "Führer" hierfür dankbar und daher leicht bereit, die Massnahmen des nationalsozialistischen Regimes kritiklos hinzunehmen. Die Angeklagten Struve, Bastian und Schmidt erlebten im Reichsgebiet die Inflation und den folgenden wirtschaftlichen Zusammenbruch, der schliesslich dazu führte, dass es in Deutschland über sechs Millionen Arbeitslose gab. Sie erlebten dann nach der sogenannten Machtübernahme Hitlers den wirtschaftlichen Wiederaufstieg und die innere und äussere Festigung des Reiches, die sie ebenso wie Millionen anderer Deutscher für ein Verdienst Adolf Hitlers hielten. Alle drei fanden in den von Hitler geschaffenen Institutionen (allgemeine SS, Gestapo) eine gesicherte wirtschaftliche Existenz. Auch sie hatten daher allen Grund, mit der nationalsozialistischen Herrschaft zufrieden zu sein.

Sämtliche Angeklagten, ob sie nun aus dem Altreich oder aus dem Memelland stammten, waren vor der Tat jahrelang durch die nationalsozialistische Erziehung und Propaganda, vor allem auch durch die Judenhetze, beeinflusst worden. Sie waren der nationalsozialistischen Ideologie erlegen und eifrige Anhänger des Regimes geworden. Im Sommer 1941 befand sich das nationalsozialistische Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nach den grossen aussenpolitischen Erfolgen in den Jahren 1938 und 1939 und den siegreichen Feldzügen in Polen, Norwegen, Frankreich, Jugoslawien und Griechenland kannte die Verherrlichung Adolf Hitlers bei der Masse des deutschen Volkes kaum noch Grenzen. Nur ein geringer Teil des Volkes war zweifelnd und unentschlossen, nur der geringste Teil stand im Widerstand. In dieser Gefangennahme und Verstrickung des deutschen Volkes durch den Nationalsozialismus sahen die Menschen zwar auch die Schwächen und die Ungerechtigkeiten des damaligen Regimes, nahmen sie aber meist im blinden Vertrauen auf die "Führung" hin, ohne sich gegen erkanntes Unrecht aufzulehnen.

 

Diese allgemeine Situation ist zwar keine Entschuldigung, aber immerhin eine Erklärung für das Verhalten der Angeklagten, die, vor die Entscheidung gestellt, sich an einem verabscheuungswürdigen Verbrechen zu beteiligen oder Würde und Menschlichkeit