Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.485

 

für die Beihilfe heraufgesetzt worden ist. Dies ist nach Ansicht des Schwurgerichts bereits vor dem hier in Betracht kommenden Tatzeitraum geschehen. Zwar hat der Wortlaut der §§44 und 49 StGB erst durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29.Mai 1943 (RGBl. I S.341) seine heutige Fassung erhalten. Sachlich ist die Umwandlung der "Muss-Vorschrift" der §§44 Abs.1, 49 Abs.2 StGB in eine "Kannvorschrift" aber schon durch §4 der Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5.Dezember 1939 (RGBl. I S.2378) erfolgt. Diese Bestimmung galt nämlich nicht nur für Gewaltverbrecher, sondern für den Gesamtbereich des Strafrechts. Durch die Verordnung vom 29.Mai 1943 wurde lediglich der Wortlaut der §§44, 49 StGB der schon bestehenden Regelung angepasst (vgl. Rietzsch in DJ 1943 S.309 ff. (310)). Somit bestand bereits seit Inkrafttreten der GewaltverbrecherVO allgemein die Möglichkeit, Beihilfe zum Mord mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen.

 

Die von den Verteidigern erhobenen Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit der GewaltverbrecherVO und gegen ihre Geltung auch für die ausserhalb des Deutschen Reiches begangenen Taten sind unbegründet. Die Verordnung ist auf Grund des Führererlasses vom 30.August 1939 (RGBl. I S.1539) vom Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassen und im Reichsgesetzblatt ordnungsgemäss verkündet worden. Die Bestimmung des §4 der Verordnung war auch keineswegs typisch nationalsozialistisch, sondern im Gegenteil rechtsfortschrittlich, weshalb der Bundesgesetzgeber die darin enthaltene Regelung auch bis heute beibehalten hat. Sie galt gemäss §3 Abs.1 StGB auch für die von Deutschen im Ausland begangenen Taten. Der §4 der GewaltverbrecherVO ist auch nicht durch Vorschriften der Besatzungsmachte rückwirkend aufgehoben oder eingeschränkt worden. Die Allgemeine Anweisung an Richter Nr.1 Ziffer 8b, nach der grundsätzlich das vor dem 30.Januar 1933 zulässige Strafmass nicht überschritten werden durfte, war kein Gesetz im formellen Sinne und hat das deutsche Strafrecht sachlich nicht geändert; sie ist auch inzwischen ausser Kraft getreten (BGHSt. Bd.1 S.59 ff.). Hieraus folgt, dass die Verjährungsfrist für die von den Angeklagten im Sommer 1941 begangene Beihilfe zum Mord zwanzig Jahre beträgt.

Mit dieser Auffassung befindet sich das Schwurgericht im Einklang mit dem in dieser Sache ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26.August 1960 (2 Ws 149/60) und dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 27.Oktober 1960 (1 Ws 537/60).

Da die zwanzigjährige Frist erst am 8.Mai 1965 abläuft, ist die Strafverfolgung gegen die Angeklagten bisher nicht verjährt, ohne dass es noch darauf ankommt, ob und wann die Verjährung durch richterliche Handlungen (§68 StGB) unterbrochen worden ist.

 

Danach sind die Angeklagten Dr. Scheu und Struve wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 220 Fällen zu verurteilen. Die Angeklagten Bastian und Schmidt sind wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 190 Fällen zu verurteilen, während der Angeklagte Jagst wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 50 Fällen zu verurteilen ist.

Da der Eröffnungsbeschluss den Angeklagten Bastian, Schmidt und Jagst 220 selbständige Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zur Last gelegt hat, die Angeklagten aber nur wegen ihrer Mitwirkung in 190 bzw. 50 Fällen verurteilt werden, muss in den übrigen Fällen Freispruch erfolgen.

 

XI. Die Strafzumessung

 

1. Der Strafrahmen

 

Da die Angeklagten gemäss §211 StGB n.F. und §49 StGB a.F. verurteilt werden, beträgt die obere Grenze des Strafrahmens unter Berücksichtigung des §4 der GewaltverbrecherVO lebenslanges Zuchthaus, bei Verhängung einer zeitigen Strafe fünfzehn Jahre Zuchthaus (§14 Abs.2 StGB). Die untere Grenze des Strafrahmens liegt gemäss §§44 Abs.2 StGB (alter und neuer Fassung) bei drei Jahren Zuchthaus.

Die Vorschrift des §4 der Verordnung zur Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23.Mai 1947 (VOBl. BrZ S.65) und die entsprechenden Vorschriften der süddeutschen Ahndungsgesetze, die beim Handeln auf Befehl eine