Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.483

 

Bewusstsein einer ausweglosen Zwangslage gehandelt haben, sondern sich tatkräftig und eifrig, wenn vielleicht auch mit einem inneren Widerwillen, für die Ausführung des Befehls eingesetzt haben, weil sie sich als SS- oder Gestapoangehörige und als überzeugte Nationalsozialisten hierzu für verpflichtet hielten. Das ist kein Nötigungsnotstand, sondern ein Handeln auf Grund einer von den Angeklagten selbst zu verantwortenden Unterordnung.

 

f. Zurechnungsfähigkeit

 

Zur Zeit der Tat war die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, bei keinem der Angeklagten wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche ausgeschlossen oder erheblich vermindert.

Keiner der Angeklagten hat sich in der Hauptverhandlung darauf berufen, dass er sich zur Zeit der Tat in einem seine Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigenden Rauschzustand befunden habe, obwohl die Entschuldigung, bei der Tat betrunken gewesen zu sein, nach den Umständen sehr nahe lag.

Bei den Angeklagten Dr. Scheu, Struve, Bastian und Jagst haben sich in dem gesamten Verfahren keinerlei Anhaltspunkte für eine gegenwärtige oder für eine frühere Einschränkung ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergeben.

 

Demgegenüber hatte der Angeklagte Schmidt nach seinen Angaben schon vor Begehung der Tat einen Motorradunfall mit Gehirnerschütterung im Jahre 1934, einen schweren Motorradunfall mit Gehirnerschütterung und längerer Bewusstlosigkeit im Jahre 1936 und einen Manöverunfall beim Kradschützensprung im Jahre 1937 erlitten. Da sich hieraus Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit ergeben konnten, ist Schmidt in der Zeit vom 4.November 1960 bis 15.Dezember 1960 im Landeskrankenhaus Osnabrück untergebracht und auf seinen Geisteszustand beobachtet worden.

Der Sachverständige Medizinalrat Dr. Nu. hat in dieser Zeit den Angeklagten eingehend auf seine körperliche und geistige Gesundheit untersucht. Auf seine Veranlassung sind ferner mehrere Röntgenaufnahmen des Schädels und des Gehirns, eine hirnelektrische Untersuchung, eine fachärztliche Untersuchung des Hörvermögens und der Gleichgewichtsorgane und eine augenfachärztliche Untersuchung vorgenommen worden.

Wie der Sachverständige Dr. Nu. in der Hauptverhandlung überzeugend dargelegt hat, haben sich bei diesen Untersuchungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Tat ausgeschlossen oder auch nur erheblich vermindert war. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist insbesondere nicht durch die erlittenen Motorradunfälle beeinträchtigt worden. Diese haben zwar zu einer gewissen Übererregbarkeit des vegetativen Nervensystems und zu einer Vermehrung des Liquoreiweisses geführt. Nach dem Röntgenbefund besteht ein Verdacht auf eine alte Felsenbeinfraktur, ausserdem sind gewisse Unterschiede in der Oberflächenzeichnung der beiden Hirnhälften festzustellen. Die hirnelektrische Untersuchung ergab keine Hinweise auf durchgemachte Krankheiten und auf Unfallfolgen. Der augenärztliche Befund war normal, die ohrenärztliche Untersuchung ergab zwar eine leichte Innenohrschwerhörigkeit, aber keine Anhaltspunkte für Gleichgewichtsstörungen. Nach dem psychischen Befund leidet der Angeklagte weder an Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, noch an glaubhaften Gedächtnisstörungen. Es liegen auch keine Anzeichen für eine bestehende oder eine früher durchgemachte Geisteskrankheit vor.

Da der Angeklagte charakterlich weich, labil und wenig belastbar ist, neigt er zu einer Überkompensierung seiner inneren Labilität durch betont stramme Haltung, wie man auch an seinem Verhalten in der Hauptverhandlung beobachten konnte. Er besitzt eine normale Intelligenz, ermüdet jedoch bei geistigen Anstrengungen verhältnismässig schnell; dies ist wahrscheinlich eine Folge der erlittenen Unfälle. Sonst sind bei ihm aber keine schwereren Persönlichkeitsveränderungen eingetreten, insbesondere keine krankhafte Enthemmung, wie sie bei Hirnverletzten häufig zu finden ist. Da tiefgreifende Persönlichkeitsveränderungen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen immer endgültig und bleibend sind, können solche nach dem gegenwärtigen Befund auch für den Zeitpunkt der Tat sicher ausgeschlossen werden. Die festgestellte leichte posttraumatische Hirnleistungsschwäche, die sich bei erhaltener Intelligenz