Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.475

 

in dem es heisst:

"Während des Krieges unterliegen den Bestimmungen über die SS- und Polizeistrafgerichtsbarkeit, insbesondere den Kriegsgesetzen, alle Personen, die zur unmittelbaren Gefolgschaft einer Einheit oder Dienststelle der SS oder Polizei, für die die Sondergerichtsbarkeit eingerichtet ist, gehören und für diese Tätigkeit Gebührnisse beziehen. Gleiches gilt im Operationsgebiet für alle Personen, die sich in irgendeinem Dienst- oder Vertragsverhältnis bei einer Einheit oder Dienststelle der SS oder Polizei, für die die Sondergerichtsbarkeit eingerichtet ist, befinden oder sich sonst bei ihr aufhalten oder ihr folgen."

Zu diesem Erlass, der den Reichsjustizbehörden durch Rundverfügung des Reichsministers der Justiz vom 11.Dezember 1941 (1051/6 - IIa 4 1772/41) bekanntgegeben wurde, hatte der Chef des Hauptamts SS-Gericht am 29.Juli 1941 Richtlinien erlassen. Danach galt die Sondergerichtsbarkeit im Operationsgebiet für alle Personen, die nach dem Wortlaut des §155 MStGB als Gefolge anzusehen waren, also auch für solche, die nicht zum Personal einer der Sondergerichtsbarkeit unterworfenen SS- oder Polizeieinheit gehörten.

Der Erlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei vom 17.Juli 1941 ist allerdings erst nach der Begehung der hier abzuurteilenden Taten ergangen. Dennoch ist er unabhängig davon, ob er auch die vor seiner Bekanntmachung begangenen Taten erfassen sollte, als milderes Gesetz im Sinne des §2 Abs.2 StGB zu Gunsten der Angeklagten anzuwenden.

 

2. Die Strafbarkeit der Haupttäter

 

a. Die Person der Haupttäter

 

Geht man zu Gunsten der Angeklagten davon aus, dass die Massenerschiessung bei Naumiestis keine "wilde Aktion" der Heydekruger SS war, sondern eine litauische Aktion mit deutscher Billigung und Unterstützung, eine Aktion der Stapostelle Tilsit oder eine Aktion der Einsatzgruppe A, so fügt sich diese Massenerschiessung völlig in den Rahmen der Vernichtungsaktionen ein, die von den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos oder von den mit ihrer Billigung und Unterstützung handelnden einheimischen "Freischärlern" auf Grund der von Hitler und Himmler schon vor dem Beginn des Russlandfeldzuges gegebenen Befehle zur Vernichtung des Judentums in Osteuropa durchgeführt worden sind.

Als Urheber dieser Massenvernichtungsaktionen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Schwurgerichts Hitler, Himmler, Heydrich und deren nähere Umgebung anzusehen. Sie haben gemeinsam den Vernichtungsplan ersonnen und ihn unter Einschaltung des RSHA organisatorisch und technisch vorbereitet und durch die Einsatzgruppen und Einsatzkommandos durchführen lassen, welche jeweils befehlsgemäss gehandelt haben.

 

b. Mord nach §211 StGB a.F. und nach §211 StGB n.F., begangen in Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft

 

Die genannten Taturheber sind die Haupttäter der Massentötungen von Juden in Litauen und in den übrigen Gebieten der Sowjetunion. Sie haben vorsätzlich und gemeinschaftlich als mittelbare Täter die Erschiessungen der Juden durch die - in der Regel mit Gehilfenvorsatz handelnden - Angehörigen der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos als "dolose Werkzeuge" ausführen lassen.

Die Haupttäter haben als mittelbare Täter vorsätzlich die Vernichtungsmassnahmen geplant und den Befehl an die Durchführenden zur Tötung der Opfer erteilt und dabei den gesetzlichen Tatbestand des Mordes sowohl im Sinne des §211 StGB a.F. als auch im Sinne des §211 StGB n.F. erfüllt.

Der Mordtatbestand des §211 StGB a.F. verlangt die vorsätzliche Tötung eines Menschen mit Überlegung. Mit Überlegung handelt im Sinne dieser Vorschrift, wer bei der Ausführung in genügend klarer Erwägung über den zur Erreichung seines Zweckes gewollten