Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.474

 

vollendete Tat vorgesehen ist."

Durch Artikel 2 der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29.Mai 1943 (RGBl. I S.341) ist die strenge Akzessorietät der Beihilfe gelockert und die in §4 der Gewaltverbrecherverordnung

bestimmte Höchststrafe des Gehilfen in die Vorschrift des §49 StGB eingearbeitet worden. Die Vorschrift hat seitdem folgenden Wortlaut:

"(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Täter zur Begehung einer als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohten Handlung durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetz festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, kann jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen ermässigt werden."

Danach setzt die Beihilfe nur noch eine vorsätzliche tatbestandsmässige und rechtswidrige Haupttat voraus, die im Gegensatz zu der früheren Regelung nicht mehr schuldhaft begangen zu sein braucht (sogenannte limitierte Akzessorietät). Der Strafrahmen hat sich durch die Einarbeitung des §4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht geändert. Deshalb ist im vorliegenden Falle §49 StGB a.F. in Verbindung mit §4 der Gewaltverbrecherverordnung als das mildeste Gesetz anzuwenden.

 

Die Allgemeine Anweisung der westlichen Militärregierungen an Richter Nr.1 (AAR) bestimmte in Ziffer 8b, dass die Gerichte in allen Fällen, in denen auf Grund eines seit dem 30.Januar 1933 erlassenen Gesetzes die Höchststrafe für eine Straftat, verglichen mit der Höchststrafe für diese Straftat vor diesem Datum, verschärft wurde, grundsätzlich keine Strafe verhängen durften, die das vor dem 30.Januar 1933 zugelassene Strafmass überstieg. Die Allgemeine Anweisung an Richter war jedoch kein Gesetz im formellen Sinne und hat das deutsche Strafrecht nicht verändert. Sie ist schon mit dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts ausser Kraft getreten und nicht als "milderes Gesetz" im Sinne des §2 Abs.2 StGB anzusehen (BGHSt. Bd.1 S.59 ff.(66)).

 

d. Die Geltung des Militärstrafrechts

 

Die Angeklagten Bastian und Schmidt unterstanden als Angehörige der Grenzpolizei (Gestapo) im Zeitpunkt der Tat dem Militärstrafrecht. Durch §1 der Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17.Oktober 1939 (RGBl. I S.2107) wurde für die genannten Personenkreise eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen eingerichtet. Für diese Sondergerichtsbarkeit fanden gemäss §3 der Verordnung die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches (MStGB) und der Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) sowie ihre Einführungsgesetze sinngemäss Anwendung, soweit nicht etwas anderes bestimmt wurde; im übrigen galten bei nichtmilitärischen Straftaten die allgemeinen Strafgesetze, welche auf Wehrmachtsangehörige Anwendung fanden. Das Gebiet des besonderen Einsatzes war durch Erlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei vom 9.April 1940 während des Krieges für unbeschränkt erklärt worden. Nach dem Erlass galt die gesamte Sicherheitspolizei, zu der die Gestapo gehörte, einschliesslich des SD als im besonderen Einsatz befindlich. Die Rechtswirksamkeit dieses Erlasses ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt worden (BGHSt. Bd.5 S.239 ff.).

 

Da das Schwurgericht die Möglichkeit nicht ausschliessen konnte, dass die Angehörigen der allgemeinen SS, die sich an den Massenexekutionen bei Naumiestis beteiligten, auf Befehl der Gestapo tätig geworden sind, müssen auch zu Gunsten der Angeklagten Dr. Scheu, Struve und Jagst die für sie günstigen Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches, insbesondere §47 MStGB, angewendet werden. Denn wenn es sich bei dieser Massenerschiessung tatsächlich um ein Unternehmen der Gestapo handelte, waren die zur Teilnahme befohlenen SS-Männer im Sinne des §155 MStGB als Gefolge der unter die SS-Sondergerichtsbarkeit fallenden Gestapo anzusehen. Dann fanden auch für sie die Vorschriften über die SS-Sondergerichtsbarkeit Anwendung. Das ergibt sich aus dem Erlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei über die Unterstellung des Gefolges unter die SS- und Polizeisondergerichtsbarkeit vom 17.Juli 1941,