Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.468

 

der übrigen Anwesenden, vor allem der Litauer, bestärkt und damit den Tatablauf gefördert. Er hat ferner eigenhändig - zumindest während des grössten Teiles der Aktion - den Opfern das Geld und die Wertsachen abgenommen. Schliesslich hat er mehrere Gnadenschüsse abgegeben und mindestens zwei am Grubenrand kniende Juden durch Genickschüsse getötet.

Auch das Verhalten des Angeklagten Schmidt ist, da er möglicherweise erst mit dem zweiten Transport zum Erschiessungsplatz kam, mit Sicherheit nur für den Tod von 190 Opfern ursächlich gewesen.

 

e. Der Tatbeitrag des Angeklagten Jagst liegt darin, dass er in Kenntnis der Tatsache, dass die Juden erschossen würden, die Opfer für den Transport zum Erschiessungsplatz auf die Lastkraftwagen eingeteilt und abgezählt hat oder - während seiner kurzfristigen Abwesenheit von der Kaserne - ihre Verladung durch die ihm unterstellten SS-Männer hat durchführen lassen.

Dieser Tatbeitrag des Angeklagten Jagst beginnt erst mit dem Zeitpunkt, in dem er auf Befehl des Mitangeklagten Dr. Scheu die Verladung der Juden übernahm. Da sich in diesem Augenblick, wie festgestellt ist, noch mindestens 50 Opfer bei der Kaserne befanden, ist sein Tatbeitrag für den Tod dieser Anzahl Juden ursächlich gewesen.

 

2. Die Teilnahmeform

 

Die Frage, ob die Tatbeiträge der Angeklagten als deren eigene Taten (Mittäterschaft) oder als Unterstützung einer fremden Tat (Beihilfe) aufzufassen sind, hängt nach der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vorherrschenden "beschränkt-subjektiven Theorie" von der Willensrichtung der einzelnen Beteiligten ab. Entscheidend ist also, ob die Angeklagten mit Täterwillen (animus auctoris) oder mit Gehilfenwillen (animus socii) gehandelt haben.

Diese Willensrichtung ist, wie der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, keine einfache innere Tatsache (BGHSt. Bd.8 S.393 ff. (396). Denn rechtserheblich ist nicht, ob die Beteiligten die Tat "als eigene" wollten, sondern ob sie die Tat unter Vorstellungen gewollt haben, wonach sie diese als eine eigene empfinden mussten (so: Nowakowski, Tatherrschaft und Täterwille, JZ 1956 S.545 ff. (547)). Diese Objektivierung des massgeblichen Urteils zwingt dazu, den Willen der Beteiligten auf Grund aller Umstände, die von ihren Vorstellungen umfasst wurden, wertend zu ermitteln. Dabei sind als wesentliche Anhaltspunkte nicht nur das eigene Interesse der Beteiligten am Erfolg der Tat, sondern auch der Umstand zu berücksichtigen, wieweit sie nach ihren Vorstellungen den Geschehensablauf mitbeherrschten, so dass Durchführung und Ausgang der Tat massgeblich auch von ihrem Willen abhingen (BGH a.a.O.).

 

Zur Frage des eigenen Interesses am Erfolg der Tat haben sämtliche Angeklagte geltend gemacht, dass sie trotz ihrer nationalsozialistischen Einstellung keinen Hass gegen die Juden gespürt hätten, dass sie die Massenerschiessung der Juden für eine schreckliche und grausame Sache gehalten hätten und dass sie sich nur unter dem Druck eines Befehls mit dem grössten Widerwillen an der Aktion beteiligt hätten. Soweit die Angeklagten ihre antisemitische Einstellung zur Tatzeit leugnen, sind ihre Einlassungen allerdings unglaubhaft und durch das Ergebnis der Hauptverhandlung widerlegt worden. Die Angeklagten haben durch ihre Mitgliedschaft in der NSDAP, der allgemeinen SS oder der Gestapo bewiesen, dass sie gegenüber dem Nationalsozialismus eine positive Haltung einnahmen. Da der Antisemitismus ein Hauptbestandteil der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda war, muss man daraus schliessen, dass sie auch den Antisemitismus der Partei bejahten. Dies gilt vor allem für die Angeklagten Bastian und Schmidt, die beide schon vor der sogenannten Machtübernahme der NSDAP und der SA, der Angeklagte Schmidt auch der HJ, beigetreten waren. Die Angeklagten Dr. Scheu, Struve und Jagst haben ihre antisemitische Haltung ausserdem durch ihre bereitwillige Mitwirkung bei den Zwangsarbeiteraktionen in Schveksny, Vevirzeniai, Kvedarna usw. deutlich zu erkennen gegeben. Unter diesen Umständen kann an der antisemitischen Einstellung der Beteiligten zur Zeit der Tat kein Zweifel sein.