Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.46

 

war nicht mehr festzustellen. Die Angaben beider Gesprächsteilnehmer hierüber stimmen nicht überein. Beide bei diesem Gespräch Beteiligten sind in die Sache verstrickt. Von der Persönlichkeit des inzwischen verstorbenen Zeugen und früheren Beschuldigten Kno. hat sich das Gericht kein eigenes Bild machen können.

 

Am Morgen des 30.1.1945 will Nic. zum zweiten Mal zu Ric. beordert worden sein. Ihm sei dort eröffnet worden, dass die Auslösung des Befehls erfolgt sei. Das Kommando habe nun so schnell wie möglich nach Sonnenburg zu fahren. Nic. will der Anordnung Ric.s sofort hart widersprochen haben. Er will sinngemäss zu ihm gesagt haben, dass er als Abwehrmann zur Befehlsausführung nicht in der Lage sei. Darauf sei es zwischen beiden zu einem heftigen Wortwechsel gekommen. Ric. soll Nic. darauf aufmerksam gemacht haben, dass sein Verhalten eine Befehlsverweigerung sei. Er habe energisch auf der Ausführung des Befehls bestanden und habe Nic. schliesslich mit der sofortigen Einleitung des Standgerichtsverfahrens bedroht. Ausserdem habe er erklärt, dass Nic. den Raum nicht mehr frei verlassen werde, wenn er sich weiter weigern werde. Die Auseinandersetzung habe damit geendet, dass Ric. klar und deutlich die Verantwortung bei der Durchführung des Befehls aufgeteilt habe. Hiernach sei Nic. auf Ric.s Anordnung nur für den Transport des Kommandos hin und zurück verantwortlich gewesen. Alles weitere sei einem Untersturmführer zugeteilt worden, dessen Namen er nicht kenne. Dieser sei insbesondere für die Exekution verantwortlich gewesen.

 

Nic. musste einräumen, dass er als Obersturmführer den ranghöchsten SS-Dienstgrad aller Kommandoangehörigen hatte. Ob er zugleich auch als Kriminalkommissar den höchsten Polizeidienstgrad besessen hatte, konnte nicht geklärt werden. Nic. will nicht wissen, wer das Exekutionskommando zusammengestellt hat. Er will nicht sagen können, ob Ric. ihm eine Liste der Teilnehmer überreicht hat oder ob eine solche Liste ihm später von irgend jemandem überreicht worden ist. Er will überhaupt nicht in der Lage gewesen sein, ein solches Kommando zusammenzustellen, da ihm auf dieser Dienststelle die Position dazu gefehlt habe. Das Kommando, so sagt Nic., sei 20-24 Personen stark gewesen, von denen die Hälfte SS-Führer und die andere Hälfte Mannschaftsdienstgrade gewesen seien. Der Untersturmführer habe Mannschaften ausgewählt, die aus den Arbeitserziehungslagern (AEL) gekommen seien. Es habe sich um Wachmannschaften gehandelt.

 

Nic. will nach dem Gespräch mit Ric. sehr erregt und kopflos gewesen sein. Er behauptet, sich nicht darüber im klaren gewesen zu sein, dass dieser Befehl unter Berücksichtigung der damaligen Kriegsverhältnisse gegen das Recht verstiess. Er will sich auf die Rechtskenntnisse des Generalstaatsanwalts verlassen haben. Der Schutz der Bevölkerung sei vorrangig gewesen.

 

Aufgrund der Einlassung Nic.s und der Aussage des Zeugen Gei. konnte festgestellt werden, dass Nic. einige Tage vor dem 30.1.1945 in Küstrin war und bei dem Zeugen Gei. vorgesprochen hatte. Dieser war damals Obergefreiter bei einer Heeressanitätsstaffel (Standortlazarett) in Frankfurt/Oder tätig. Nic. und Gei. kannten sich von früher. Sie waren Nachbarn und ihre Väter waren gemeinsam bei der Reichsbahn tätig gewesen. Nic. berichtete Gei. von einem unangenehmen Befehl, den er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Ob der Zeuge darüber hinaus im einzelnen in die bevorstehenden Ereignisse eingeweiht wurde, steht nicht fest. Nic. will Gei. nicht eingeweiht haben, was von diesem bestätigt wird. Dennoch behauptet der Zeuge aber, er habe sich denken können, dass es sich um Erschiessung handelte. Dieser Widerspruch wurde nicht aufgeklärt.

 

Nic. beabsichtigte, wegen des ihm erteilten Befehls und des zu erwartenden Kriegsendes unterzutauchen. Hierzu bat er Gei. um eine Uniform und ein neues Soldbuch. Beide hatten vereinbart, dass Nic. sich auf einer Insel im Dehmsee bei Fürstenwalde verstecken sollte. Gei. sollte für seine Ernährung sorgen. Der Zeuge hat dem Angeklagten Nic. auch Uniform