Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.453

 

schon um 14.30 Uhr verlassen haben. Der Angeklagte Bastian gibt an, er sei um 15.30 Uhr bereits wieder in Heydekrug gewesen, und der Angeklagte Schmidt will sich im ganzen nur eine oder anderthalb Stunden am Erschiessungsplatz aufgehalten haben. Alle diese Einlassungen können nicht richtig sein, da die Zeugen Bu. und Pa. erst gegen 16 Uhr zur Kaserne kamen, sich dort noch eine Zeitlang aufhielten und erst dann zum Erschiessungsplatz fuhren, wo sie alle vier Angeklagten noch antrafen. Wie die Zeugen glaubhaft bekundet haben, waren diese auch noch anwesend, als die Zeugen den Erschiessungsplatz verliessen. Dies muss schon ziemlich am Ende der Aktion gewesen sein. Dafür spricht einmal die Tatsache, dass der Angeklagte Dr. Scheu die Zeugen Bu. und Pa. nach dem Transport der Juden aus Vainutas suchen liess, was darauf schliessen lässt, dass er die Aktion bald beenden wollte. Ferner spricht dafür die glaubwürdige Aussage des Zeugen Pr., nach der gegen 17 oder 18 Uhr die Exekutionen eingestellt und die Absperrposten eingezogen wurden. Danach müssen sich die Angeklagten Dr. Scheu, Struve, Bastian und Schmidt mindestens bis kurz vor dem Ende der Aktion auf dem Erschiessungsplatz aufgehalten haben.

 

Die Angeklagten Dr. Scheu und Struve haben sich dahin eingelassen, sie hätten am Erschiessungsplatz einen höheren Gestapobeamten in Uniform mit einer Offizierskordel an der Mütze gesehen. Nach den Angaben des Angeklagten Dr. Scheu soll der Mann eine Art Kleppermantel getragen haben. Diese Einlassungen sind indessen als leere Schutzbehauptungen zu werten, die offensichtlich dazu dienen sollen, die eigene Verantwortung für die Exekutionen abzuschwächen. Zunächst fällt auf, dass beide Angeklagten angeben, sie hätten mit dem Mann nicht gesprochen. Der Angeklagte Dr. Scheu sagt dazu, er habe mit dem Gestapomann keine Fühlung aufgenommen, weil er seinen "Chef" (gemeint ist Struve) am Platz gehabt hätte.

Der Angeklagte Struve gibt an, er habe sich absichtlich nicht bei dem Mann gemeldet, weil er vor der Gestapo Angst gehabt hätte, und mit ihr nichts zu tun haben wollte. Entscheidend sind jedoch die Angaben der mitangeklagten Gestapobeamten Bastian und Schmidt, die übereinstimmend ausgesagt haben, dass sich von der Gestapo nur sie beide und möglicherweise noch ihr Kamerad Meierl am Erschiessungsplatz befunden hätten; ein ranghöherer Gestapobeamter oder ein SD-Führer sei während ihrer Anwesenheit nicht auf dem Platz gewesen; wenn sie einen solchen Gestapobeamten oder SD-Führer gesehen hätten, würden sie sich selbstverständlich bei ihm gemeldet haben.

 

Das Schwurgericht hat keine Bedenken, diesen Angaben der Angeklagten Schmidt und Bastian zu folgen; denn die beiden würden das Erscheinen eines ranghöheren Dienstgrades ihrer eigenen Formation bestimmt bemerkt haben; sie haben auch keine Veranlassung die Anwesenheit eines solchen Dienstgrades zu verschweigen, weil sie für die Beurteilung ihrer Mitwirkung an der Tat nur günstig sein könnte. Allerdings sind die Angeklagten Bastian und Schmidt erst kurze Zeit nach der Ankunft der Angeklagten Dr. Scheu und Struve auf dem Erschiessungsplatz erschienen. Trotzdem lassen ihre Angaben den sicheren Schluss zu, dass die Einlassungen der Angeklagten Dr. Scheu und Struve unrichtig sind. Wenn sich nämlich ein höherer Gestapobeamter oder SD-Führer am Erschiessungsplatz befunden hätte, wäre es im hohen Grade unwahrscheinlich, dass er diesen schon vor dem Eintreffen der ersten Judentransporte wieder verlassen hätte. Im übrigen behaupten die Angeklagten Dr. Scheu und Struve auch gar nicht, den Gestapobeamten nur vor dem Beginn der Exekutionen gesehen zu haben. Der Angeklagte Struve gibt vielmehr an, dass der Gestapobeamte erst später, auf jeden Fall nach Beginn der Exekutionen, gekommen sei. Dann müsste ihn aber auch der Angeklagte Schmidt oder der Angeklagte Bastian gesehen haben. Schliesslich haben auch der Angeklagte Jagst und - mit Ausnahme des Zeugen Pr., der mit einem "unbekannten Offiziersdienstgrad" gesprochen hat - auch sämtliche Zeugen nichts bekundet, woraus man auf die Anwesenheit eines höheren Gestapobeamten oder SD-Führers schliessen könnte.

Danach ist festzustellen, dass ein solcher Mann nicht anwesend war, die Angeklagten Struve und Dr. Scheu mithin die ranghöchsten Führer unter den an der Erschiessung beteiligten Personen waren.