Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.448

 

Die Gesamtwürdigung der Zeugenaussage Jan.s, bei der die leicht phantastisch anmutende Erwähnung eines Flugzeugs im Zusammenhang mit der Flucht der Vorarbeiterin Ha. auf eine Vermischung zwischen Erfahrungswirklichkeit und Einbildungstätigkeit hindeutet und die fehlende Kongruenz ihrer sonstigen Angaben mit dem aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnenen Bild von dem Leben in den DAW lassen, wie bereits oben zu Fall 21 der Anklage (s. unter C VI) näher begründet wurde, Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Zeugin Jan. aufkommen. Auffallend ist weiter, dass sie die in der Literatur häufiger erwähnte "typische Handlung" des Angeklagten, er habe mit einem weissen Schal Häftlinge erwürgt, berichtete. Auch dieser Umstand deutet auf ein Eindringen von Gehörtem bzw. Gelesenem in ihr Gedächtnis hin. Ihren Angaben kommt nach alledem kein solcher Beweiswert zu, dass darauf eine Verurteilung des Angeklagten im Falle 11 der Anklageschrift gestützt werden könnte. Insoweit erfolgte somit Freispruch.

 

VI. Fall 12 der Anklageschrift

 

Nach der Anklage soll der Angeklagte im Frühjahr 1943 einen jüdischen Arbeiter in der Nähe der "Baracke Schwarz" zur Erde gestossen, sich auf ihn gekniet und ihn erstickt haben.

 

Dieser Vorwurf wird von der Staatsanwaltschaft auf die Aussage des 54 Jahre alten Zeugen Chaim Ros. aus Israel gestützt, der ab Anfang 1943 im ZAL kaserniert und in den DAW, unter anderem als Mechaniker, beschäftigt war. Ros. bekundete: Im Frühjahr 1943, etwa im April/Mai - es sei jedenfalls draussen schon verhältnismässig warm gewesen - habe er von einem Fenster der Schneiderei aus beobachtet, dass in einer Entfernung von etwa 8 bis 10 Metern der Angeklagte einen Häftling umgeworfen habe, sich auf ihn gekniet und ihn am Hals gewürgt habe, bis der Häftling erstickt gewesen sei. Er habe nämlich reglos am Boden gelegen und seine Hände hätten leblos am Körper gehangen. Die Leiche sei dann weggebracht worden. Der Angeklagte, in dessen Begleitung sich noch ein weiterer SS-Mann befunden habe, habe seine Hände nach dem Vorfall an seinem Taschentuch abgewischt und sei weggegangen.

 

Zwischen den Schilderungen der einzelnen Handlungsteile geriet der Zeuge Ros. in starke Erregung und machte dabei folgende Äusserungen: "Es ist ein Finger Gottes, dass ich das Glück habe, hier zu sitzen, den Angeklagten anzuklagen ... ich spreche in meinem Namen und im Namen aller Ermordeter und Erwürgter ... ich habe nicht alles gesehen, sondern auch vieles durch Erzählungen erfahren ... den Namen des Angeklagten, ich will überhaupt nicht den Namen aussprechen ... das war ein Schet - ein Teufel. Ich habe das gesagt in hebräischer Sprache ... Teufel ist Schet ... das war ein Teufel in menschlichem Körper." Auch im Verlaufe seiner übrigen Aussage nahm der Zeuge den Namen "Gebauer" nicht in den Mund; er sprach stets von ihm nur in der dritten Person bzw. vom "Angeklagten".

 

Es spricht vieles dafür, dass die Aussage des Zeugen Ros. zu obigem Vorfall der Wahrheit entspricht. Ros. verfügt, wie seine sonstige Vernehmung ergab, über eine recht gute Erinnerung an die damalige Zeit. Er beschränkte sich auch auf die Darstellung dieses einzigen Vorfalles, in dem er mit Sicherheit den Angeklagten aus eigenem Erleben einer Tötungshandlung bezichtigen könne. In zwei ihm vorgehaltenen früheren Vernehmungen hatte er weiter bekundet, der Angeklagte habe sich anlässlich einer Geburtstagsfeier vom Wohnhaus des Willhaus im ZAL aus an Schiessereien in die Richtung des Aufenthaltsortes von Häftlingen beteiligt. Hierzu erklärte der Zeuge, er könne sich jetzt an die Anwesenheit des Angeklagten bei diesen Schiessereien nicht mehr genau erinnern, wenn er auch annehme, dass