Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.447

 

davon, dass die als arbeitsunfähig bezeichneten Juden erschossen würden. Von nun an besorgten Jagst und die unter seinem Kommando stehenden SS-Leute die Verladung der Juden auf die zwischen der Kaserne und dem Erschiessungsplatz hin- und herfahrenden Lastkraftwagen.

Den Zeitpunkt, in dem Jagst mit der Verladung der Opfer beauftragt wurde, hat das Schwurgericht nicht genau feststellen können. Wahrscheinlich fällt er noch in die erste Stunde nach Beginn der Erschiessungsaktion. Mit Sicherheit steht aber fest, dass sich noch ein erheblicher Teil der zur Erschiessung bestimmten Juden, bei vorsichtigster Beurteilung mindestens fünfzig, bei der Kaserne befand, als Jagst die Verladung übernahm.

 

Am Erschiessungsplatz waren ausser den bereits erwähnten Personen noch mehrere Angehörige des SS-Reitersturmes 2/20 und des Sturmbannes II/105 anwesend, darunter wahrscheinlich auch der Zeuge F., sowie mehrere Zollbedienstete in graugrüner Uniform und eine grössere Anzahl litauischer Zivilisten mit weissen Armbinden (Freischärler oder Hilfspolizisten). Ein Zöllner beschäftigte sich damit, die in der Grube liegenden Leichen mit einer langen Stange, an der ein eiserner Haken befestigt war, zurechtzurücken. Ferner war mit grosser Wahrscheinlichkeit auch der Zeuge Br. in der Uniform eines Feldzahnarztes des Heeres am Erschiessungsplatz anwesend. Br. befand sich damals auf Heimaturlaub in Heydekrug. Er war ein guter Bekannter des Angeklagten Dr. Scheu und wie dieser ein leidenschaftlicher Jäger und begeisterter Pistolenschütze.

Von der Gestapo (Grenzpolizei) nahmen nur die Angeklagten Schmidt und Bastian und möglicherweise auch ein Kriminalassistent Meierl, der damals im Stalag Heydekrug-Matzicken beschäftigt gewesen sein soll, an der Aktion teil. Ein ranghöherer Gestapobeamter, etwa ein Regierungsrat oder ein Kriminalkommissar, oder ein SD-Führer war entgegen den Angaben der Angeklagten Dr. Scheu und Struve am Erschiessungsort nicht anwesend.

Am Nachmittag erschienen der kommissarische Landrat Schm. und sein Kraftfahrer, der Zeuge G., auf dem Erschiessungsplatz. Beide kamen in Zivil. Der Zeuge Schm. liess sich von dem Angeklagten Dr. Scheu den Ablauf der Aktion erklären und setzte sich dann auf eine in der Nähe der Grube ausgebreitete Decke, um der Erschiessung zuzusehen. Er hielt sich mindestens eine Stunde am Erschiessungsplatz auf.

 

Während der Anwesenheit der Zeugen Schm. und G. waren auch der Zeuge Bu. in der Uniform eines SS-Untersturmführers und der Zeuge Pa. in Zivil etwa eine Viertelstunde lang auf dem Erschiessungsplatz. Der kommissarische Landrat Schm. hatte am Vormittag den Zeugen Pa. angewiesen, nach Naumiestis zu fahren und sich die für den Einsatz in Heydekrug bestimmten Arbeitskräfte anzusehen. Zugleich hatte er den Zeugen Bu. beauftragt, Pa. auf der Fahrt als "Uniformträger" zu begleiten. Die beiden Zeugen fuhren deshalb am frühen Nachmittag in dem beamteneigenen Kraftwagen des Zeugen Pa. nach Naumiestis. Als sie gegen 16.00 Uhr bei der Kaserne eintrafen, stiessen sie auf den Angeklagten Jagst, der gerade damit beschäftigt war, einen Lastkraftwagen mit Juden zu beladen. Jagst erklärte dem Zeugen Bu., dass die arbeitsfähigen Juden nach Heydekrug kämen, während die arbeitsunfähigen Juden durch ein SS-Kommando unter Führung von Dr. Scheu erschossen würden. Dann fuhr der Angeklagte Jagst - entweder aus Neugier oder in der Absicht, dem Angeklagten Dr. Scheu die Ankunft der beiden Zeugen zu melden - mit einem Judentransport zum Erschiessungsplatz mit. Das Kommando über die Verladung der Juden übergab er solange einem seiner SS-Leute.

Bu. und Pa. warteten bei der Kaserne auf seine Rückkehr und sahen sich inzwischen das dort herumliegende Kriegsmaterial an. Nach kurzer Zeit kehrte der Angeklagte Jagst wieder zur Kaserne zurück. Er sagte zu den beiden Zeugen sinngemäss: "Das ist ja grässlich, das ist nichts für uns!" Ferner teilte er ihnen mit, dass Dr. Scheu sie zu sprechen wünsche.

Bu. und Pa. fuhren daraufhin mit ihrem Kraftwagen auf dem ihnen von Jagst beschriebenen Wege zum Erschiessungsplatz. Hier bot sich ihnen ein grausiges Bild. Ein Zöllner gab auf in der Grube liegende Opfer, die Schmerzensschreie ausstiessen oder sich noch bewegten, sogenannte "Gnadenschüsse" ab. Dann kam ein Schub Juden an. Der Angeklagte