Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.446

 

aufgefordert herauszutreten. Das Mädchen habe geantwortet, sie sei noch jung und werde arbeiten. Der Angeklagte habe seine Pistole herausgezogen und sie erschossen. Als das Mädchen zu Boden gefallen sei, sei ihr Kleid hochgerutscht. Der Angeklagte habe das Kleid mit dem Stiefel wieder gerade gezogen. Ein paar Tage später habe der Angeklagte eine etwa 40-jährige Frau, die ihn gebeten habe, ihr das Leben zu schenken, geschlagen, mit den Stiefeln nach ihr getreten und sie dann erschossen.

Die Zeugin verlegt beide Vorfälle in den Herbst 1942, betonte aber, sie könne sich insoweit nicht festlegen, sie wisse aber auf jeden Fall, dass kein Schnee gelegen habe.

 

Zu der Aussage der Zeugin Cwi. könnten bestätigend die Bekundungen der Zeugin Salomea Fre., einer Schwägerin der Zeugin Cwi., hinzutreten. Die Zeugin Fre., die in Polen lebt, während die Zeugin Cwi. seit 1950 in Israel wohnt, hat - ohne dass Anhaltspunkte für eine Absprache zwischen beiden vorliegen - ebenfalls die Tötung von zwei Frauen bei sogenannten Appellen durch den Angeklagten geschildert, und zwar seien eine etwa 35-jährige Frau, der der Angeklagte erklärt habe, sie gehöre schon zum "Brucheisen" und eine weitere Frau, die er aus der Reihe habe heraustreten lassen, von dem Angeklagten getötet worden. Die Zeugin Fre. erzählte bei ihrer Vernehmung am 3.Dezember 1970, erstere Frau sei durch einen Schuss in den Hals getötet, letztere erwürgt worden. Am 8.Dezember 1970, als die Zeugin Fre. erneut vernommen wurde, erklärte sie, sie habe in ihrer Aufregung am 3.Dezember 1970 die Tathandlung bezüglich der beiden Frauen verdreht. Die 35-jährige Frau sei erwürgt, die andere Frau erschossen worden. Diese Verwechselungen lassen deutlich erkennen, dass die Erinnerungszuverlässigkeit der Zeugin Fre. nicht unerheblich beeinträchtigt ist.

Ausserdem bekundete der Zeuge Josef Shr., er habe im Jahre 1943 von seiner zwischenzeitlich verstorbenen Schwester Hanna Segal, die in den DAW gearbeitet habe, erfahren, der Angeklagte habe Frauen getötet, darunter ein ganz junges Mädchen durch Erschiessen.

 

Die heute 58 Jahre alte Zeugin Cwi., die bis 23.1.1950 in Beuthen zusammen mit der Zeugin Fre. wohnte und seitdem in Israel lebt, war während der Besetzung Lembergs durch die deutsche Wehrmacht als Näherin in der Firma Schwarz beschäftigt, worüber sie in der Hauptverhandlung noch eine Originalbescheinigung vorzulegen vermochte. Etwa im Herbst 1942 wurde sie mit anderen Arbeitskolleginnen in die DAW übernommen und hatte dort die Position einer Vorarbeiterin inne. Ihre Aussage zu den beiden Fällen machte sie widerspruchsfrei und folgerichtig. Sie wich dabei auch in keiner Hinsicht von ihren früheren diesbezüglichen Angaben ab. Zwar stehen ihre Bekundungen mit denen der Zeugin Jan. insoweit in Widerspruch als diese aussagte, bei den Frauenappellen in den DAW habe der Angeklagte nach ihrer Beobachtung nie Frauen erschossen. Bedenken gegen die Erinnerungsfähigkeit und Aussagetüchtigkeit der Zeugin Jan. wurden bereits oben zu Fall 21 der Anklage (s. C VI) dargelegt. Sieht man aber auch von diesen ab, so wären beide Aussagen vereinbar, wenn man davon ausgeht, dass die von der Zeugin Cwi. geschilderten Fälle sich an Tagen zugetragen haben, an denen die Zeugin Jan. im Ghetto zurückgeblieben war.

 

Für die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin Cwi. sprechen die Aussagen der Zeugen Shr. und Salomea Fre. Möglicherweise könnten sich deren Angaben sogar auf die gleichen Vorfälle beziehen. Nimmt man dies nicht an, so wären diese Zeugenaussagen doch ein Indiz für die Täterschaft des Angeklagten, da man aus ihnen herauslesen könnte, dass solche Verhaltensweisen des Angeklagten vorgekommen sind.

 

Alle diese Fragen brauchen aber zur Beurteilung der Schuld des Angeklagten in den Fällen 9 und 10 der Anklageschrift nicht abschliessend beantwortet zu werden, da bezüglich des Aussagewertes der Bekundungen der Zeugin Cwi. leise Zweifel aufgetaucht sind. Gegen deren Aussageehrlichkeit bestehen zwar nach dem von ihr gewonnenen persönlichen Eindruck keinerlei Bedenken. Sie war offensichtlich bemüht, ihr im Gedächtnis haftende Vorgänge wahrheitsgetreu wiederzugeben. Die Bedenken hinsichtlich des Aussagewertes ihrer Angaben stützen sich auf einen der Zeugin Cwi. in der damaligen Zeit widerfahrenen