Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.443

 

II. Fälle 5-7 der Anklageschrift

 

In der Anklageschrift werden dem Angeklagten, beruhend auf Aussagen des Zeugen Dr. Leon Weliczker Wel. in der Voruntersuchung, folgende Taten zum Vorwurf gemacht:

 

Fall 5 der Anklage: Im März 1942 stiess der Angeklagte einen Häftling namens Zudyk, der damit beschäftigt war, Kalk zu mischen, in die Flüssigkeit, so dass der Häftling darin umkam.

Fall 6 der Anklageschrift: Um die gleiche Zeit (März 1942) liess Gebauer einen Häftling, der bei der Arbeit eingeschlafen und daher nicht zum Mittagsappell erschienen war, beim Abendappell vor allen Häftlingen erhängen, und zwar mit dem Kopf nach unten am Eingang der Baracke. Der Häftling blieb 48 Stunden hängen.

Fall 7 der Anklage: Gebauer veranstaltete vom Bürofenster aus zusammen mit Willhaus mit Pistolen ein Scharfschiessen auf vorbeigehende Häftlinge, wobei sie auf deren Finger oder Nasenspitzen zielten. Die dadurch Getroffenen wurden sodann von dem Angeklagten und Willhaus erschossen.

 

Diese Vorwürfe konnten nach den Bekundungen des Zeugen Dr. Wel. in der Hauptverhandlung nicht mehr aufrecht gehalten werden.

 

Zu Fall 5 der Anklage sagte Wel. folgendes aus: Auf dem DAW-Gelände habe eine Bütte mit Holzplanken, die Ausmasse von etwa 4 auf 4 Meter gehabt habe und etwa 10 cm hoch gewesen sei, gestanden. Darin sei Kalk oder etwas ähnliches, was man mit einer Schaufel mische, zubereitet worden. Der damit beschäftigte Mann sei ihm näher bekannt gewesen, weil er abends in der Unterkunftsbaracke Volkslieder gesungen habe. Er sei etwa 1,80 m gross, ungefähr 30 Jahre alt gewesen und habe Zudyk gehiessen. Seine (des Zeugen) frühere Aussage, Gebauer habe diesen Zudyk in die Kalkwanne gestossen, weil er zu langsam gearbeitet habe, sei eine Schlussfolgerung aus folgenden eigenen Beobachtungen gewesen, die er heute noch bezeugen könne: Er habe genau gesehen, dass der Angeklagte mit einigen SS-Leuten an der Wanne vorbeigegangen sei und dass danach Zudyk in der Wanne gelegen habe; er habe am gleichen Abend gehört, dass ein Mann tot sei und habe ab diesem Tag Zudyk nicht mehr in der Baracke gesehen. Er könne aber nicht sagen, ob der Angeklagte den Häftling Zudyk in die Wanne gestossen habe oder dies einer der anderen SS-Männer getan habe oder ob Zudyk in die Wanne hineingestolpert sei.

 

Angesichts dieser Aussagen war der Angeklagte von dem Vorwurf des Falles 5 der Anklageschrift mangels begründeten Tatverdachts freizusprechen, da die früheren Schlussfolgerungen des Zeugen Dr. Wel. angesichts der von diesem tatsächlich gemachten Beobachtungen, auf deren Wiedergabe in der Hauptverhandlung er sich beschränkte, nicht zwingend sind und eine Feststellung im Sinne der Anklage nicht zu rechtfertigen vermögen.

 

Zu dem Erhängungsfall (Ziffer 6 der Anklage) bekundete der Zeuge folgendes: Er habe zwei Erhängungsfälle in den DAW erlebt. Einmal sei ein Häftling weggelaufen; als er wieder ergriffen worden sei, sei er über der Baracke aufgehängt worden. (Bezüglich dieses Falles, der ebenfalls von der Voruntersuchung erfasst war, ist das Hauptverfahren nicht eröffnet worden). Ausserdem sei einmal ein Häftling erhängt worden, der während der Mittagspause eingeschlafen sei. Gebauer und Willhaus seien während der Erhängung zugegen gewesen, ferner die Aufseher Czekalla und Röhrich. Der Häftling habe sich auf einen Stuhl stellen müssen, der unter ihm weggezogen worden sei, nachdem ihm eine Schlinge um den Hals gelegt worden sei. Er (der Zeuge) könne nicht angeben, ob Gebauer oder Willhaus den Befehl zu der Erhängung gegeben habe bzw. ob eine Anordnung von dritter Seite, etwa von Katzmann ausgeführt worden sei; über solche Interna seien die Häftlinge selbstverständlich nicht informiert gewesen.