Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.443

 

abtransportiert.

 

Die Einrichtung der Judenlager in Heydekrug war mit den Anweisungen, welche die Stapostelle Tilsit beim Ausbruch des Russlandkrieges bekommen hatte, in keiner Weise zu vereinbaren. Wie es trotzdem möglich war, dass die Juden bis zum Sommer 1943 in Heydekrug blieben, hat sich nicht klären lassen. Es hat sich insbesondere nicht feststellen lassen, ob und gegebenenfalls wann die Stapostelle Tilsit von den Arbeiterbeschaffungsaktionen der Heydekruger SS und von der Errichtung der Judenlager Kenntnis erhielt.

Zu der Frage, ob der Angeklagte Dr. Scheu als Leiter des ihm unterstellten Zwangsarbeitslagers eine Anzahl jüdischer Häftlinge erschossen hat oder durch andere hat erschiessen lassen, hat das Schwurgericht keine Feststellungen getroffen.

Diese Vorwürfe sind Gegenstand einer beim Landgericht Aurich unter dem Aktenzeichen - Vor. 5/60 - anhängigen Voruntersuchung 134.

 

2. Beweiswürdigung

 

Die Angeklagten Dr. Scheu, Struve und Jagst geben ihre Mitwirkung bei den Zwangsarbeiteraktionen im wesentlichen zu. Die Feststellung, dass es dabei zu Ausschreitungen gegen die Juden gekommen ist, beruht auf den Angaben des Angeklagten Dr. Scheu und des Zeugen Bu.

In der Frage, wer der Urheber dieser Aktionen war, folgt das Schwurgericht weitgehend den Angaben der Angeklagten Dr. Scheu und Struve, die insoweit übereinstimmen. Danach ist die Initiative von dem kommissarischen Landrat Schm. ausgegangen. Dieser hat zwar in der Hauptverhandlung jede Mitwirkung bei der Beschaffung der Zwangsarbeiter in Abrede genommen und die Sache so dargestellt, als sei er durch die Ankunft der Juden in Heydekrug völlig überrascht worden. Der Zeuge hat aber bei seiner Vernehmung einen äusserst unsicheren Eindruck gemacht; er hat auf kaum eine Frage eine klare Antwort gegeben, sondern stets nach Ausflüchten gesucht; auch hat er sich oftmals in Widersprüche verwickelt. Gegen die Richtigkeit seiner Aussage spricht auch die Einlassung des Angeklagten Jagst, dass er den ersten Befehl zur Teilnahme an der Aktion Schveksny von dem Zeugen Schm. erhalten habe. Schliesslich ist die Darstellung des Zeugen auch deshalb unglaubwürdig, weil er als Landrat das grösste Interesse an der Herbeischaffung der Arbeitskräfte hatte und tatsächlich die Juden alsbald nach ihrer Ankunft zum grossen Teil für Bauvorhaben des Kreises eingesetzt hat. Das Schwurgericht ist deshalb zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt hat, als er seine Mitwirkung bei der Zwangsarbeiteraktion leugnete.

 

Dagegen hat das Schwurgericht nicht mit Sicherheit feststellen können, ob das Gespräch zwischen dem Angeklagten Dr. Scheu und dem Zeugen Schm., bei dem dieser den Plan der Beschaffung jüdischer Arbeitskräfte entwickelte, kurz vor oder kurz nach dem Beginn des Russlandfeldzuges stattgefunden hat. Nach den Angaben des Angeklagten Dr. Scheu soll das Gespräch schon vor dem Feldzugsbeginn stattgefunden haben. Der Zeuge Schm. soll dabei auch von einem geheimen Plan gesprochen haben, das Kreisgebiet durch Hinzunahme eines litauischen Gebietsstreifens nach Osten zu erweitern. Dazu haben die Aussagen der Zeugen Gu. und D. ergeben, dass der Zeuge Schm. vor dem Beginn des Russlandfeldzuges sowohl über den bevorstehenden Angriff als auch über den damals existierenden Geheimplan, die Reichsgrenze nach Osten zu erweitern, unterrichtet worden war. Die Darstellung des Angeklagten Dr. Scheu über den Zeitpunkt des Gespräches ist daher keineswegs unwahrscheinlich. Trotzdem lässt sich die Möglichkeit, dass das Gespräch erst nach dem Angriffsbeginn stattgefunden hat, nicht mit Sicherheit ausschliessen.

 

Zu der Frage, ob die Stapostelle Tilsit von den Zwangsarbeiteraktionen und der Errichtung der Judenlager Kenntnis hatte, liegen zahlreiche widersprechenden Aussagen vor. Die Zeugen Böhme, Kreuzmann, Krumbach, Harms und Gerke haben übereinstimmend bekundet, sie hätten von den Aktionen der Heydekruger SS im litauischen Grenzraum nichts gewusst und auch von der Errichtung der Judenlager keine Kenntnis erhalten. Lediglich der Zeuge Harms will einmal auf einer Dienstfahrt ein solches Judenlager gesehen haben, dabei aber der Meinung gewesen sein, dass es sich um Juden

 

134 Siehe auch Lfd.Nr.579.