Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.442

 

Name Brandstetter als Inhaber einer Schokoladenfabrik in Lemberg ihm ein Begriff gewesen sei. Aber auch wenn man diese Aussage des Zeugen Por., an dessen Glaubwürdigkeit nicht zu zweifeln ist, zu der Aussage Schr.s hinzuzieht, wird der Tatverdacht gegen den Angeklagten nicht entscheidend verdichtet. Beschuldigungen, die ein Zeuge lediglich von Hörensagen weiss, haben nach Ablauf von fast 30 Jahren lediglich noch einen geringen Beweiswert, da dabei zu viele Fehlerquellen in der Übermittlungsreihe denkbar sind.

 

Somit ist der Angeklagte im Falle 4 der Anklageschrift freizusprechen, da beweiskräftige Hinweise auf seine Täterschaft in der Hauptverhandlung nicht zu Tage traten.

 

Allein das Abrücken des Zeugen Schr. von seinem im Ermittlungsverfahren auch bezüglich der Tötung des Juden Brandstetter gegenüber dem Angeklagten gemachten Vorwurf lässt schon Zweifel am Beweiswert von dessen beiden anderen Beschuldigungen aufkommen, wenn auch dieses Abschwächen seiner früheren Aussage dafür spricht, dass der Zeuge Schr. bei seinen Beschuldigungen sein Gedächtnis genau prüft und dass er bereit ist, Unsicherheiten auch offen zu bekennen. In den jetzigen Aussagen zu den Fällen 2 und 3 der Anklage kommt aber ein weiterer gewichtiger Gesichtspunkt hinzu.

Schr. schilderte wohl auch jetzt diese beiden Fälle im gleichen Sinne wie früher - der Anklagevorwurf gibt somit auch die jetzige Aussage Schr.s sinngemäss richtig wieder -, insbesondere betonte er auch, dass kein Zweifel bestehe, dass Gebauer in beiden Fällen der Täter gewesen sei. Er bekannte aber, er habe bei seiner Vernehmung im Jahre 1962, obwohl er die Namen der Opfer nie gekannt habe, bezüglich beider Name und Adresse angegeben. Im Falle 2 habe er die Personalien des Bruders einer Dentistin, von der er gehört habe, dass ihr Bruder bei einem solchen Vorfall in den DAW umgekommen sei, genannt. Im Falle 3 habe er Name und Anschrift seines Vorarbeiters Landau, der dem Häftling den Strick um den Hals habe legen müssen, herangezogen. Der Zeuge bekannte zwar jetzt offen, dass er sich dieser Verhaltensweise anlässlich seiner Vernehmung im Jahre 1962 schäme. Der damalige Vernehmungsbeamte in Wien, der von einer deutschen Behörde gekommen sei, habe ihm vorgehalten, er solle Namen der Opfer nennen, sonst hätten seine Aussagen keinen grossen Wert. Da er (der Zeuge) hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten in beiden Fällen absolut sicher gewesen sei, habe er dann die beiden Namen und Anschriften hinzu erfunden. Die jetzigen Bekenntnisse des Zeugen Schr. könnten zwar gerade als Beweis für die Aufrichtigkeit des Zeugen angesehen werden, da ihm klar sein dürfte, dass ihm die positive Unrichtigkeit seiner früheren Angaben nicht nachgewiesen werden könnte. Wenn er sich gleichwohl selbst der Unwahrheit bezichtigt, könnte darin ein Indiz dafür gesehen werden, dass der jetzt noch aufrecht gehaltene Teil der Aussage auf jeden Fall der wahren Erinnerung des Zeugen entspricht. Eine über jeden Zweifel erhabene Überzeugungsbildung lässt sich aber gleichwohl auf die Aussage Schr. nicht stützen. Der Umstand, dass er einmal bereit war, zumindest in Teilpunkten seiner Aussage bewusst die Unwahrheit zu sagen, fällt doch bei der Würdigung der Aussageehrlichkeit des Zeugen so entscheidend ins Gewicht, dass seine Bekundungen zu den Fällen 2 und 3 nicht geeignet sind, die Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten abzugeben. Eine Tendenz zur teilweise unwahren Darstellung war immerhin einmal bei ihm vorhanden. Seine Angaben sind zwar in sonstigen Punkten teilweise recht genau und auch insoweit verwertbar, als sie nicht einen Vorwurf gegen den Angeklagten zum Gegenstand haben und deshalb einer bewussten Verfälschung nicht unterliegen können (siehe Datumsangabe "31.Oktober 1941", oben A IV 4a).

 

Die Gefahr, dass auch jetzt noch Teile der belastenden Aussage nicht der wahren Erinnerung des Zeugen entsprechen, ist zwar im Hinblick auf dessen offene Bekenntnisse seiner früheren Unwahrhaftigkeit gering, immerhin aber noch gross genug, um Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten in den Fällen 2 und 3 der Anklageschrift zu haben, so dass dieser nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" insoweit freizusprechen war.