Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.440

 

gegenüber dem ihn danach fragenden Angeklagten ab; im Falle 1 der Anklage hielt sich Dr. Luchs unerlaubterweise in der Tischlerei auf, um sich dort aufzuwärmen. An Stelle einer angemessenen Reaktion auf das jeweilige vorhergehende Verhalten der drei Männer schritt der Angeklagte zu deren Tötung. Der geringfügige äussere Anlass zu den Taten hebt "bei einer Wertung der gesamten Umstände" (BGH in NJW 1967, 1141) die Verwerflichkeit seines Handelns nicht auf. Das krasse Missverhältnis zwischen dem Fehlverhalten der drei Juden und der von ihm vorgenommenen Ahndung findet seine Erklärung in seiner auf niedriger Gesinnung beruhenden damaligen Einstellung, dass ihm das Leben eines jüdischen "Schwarzarbeiters" nichts wert schien, und kennzeichnet die Willkür, aus der heraus er sich zum Herr über Leben und Tod der drei Männer aufspielte.

 

Auch in subjektiver Hinsicht sind die Voraussetzungen des §211 StGB verwirklicht. Der Angeklagte tötete jeden der drei Männer gewollt. Er war sich dabei auch bewusst, dass seine jeweilige Handlungsweise zu deren Tod führte. Insbesondere kannte er im Augenblick der Taten auch die tatsächlichen Umstände, die seine Handlungsweise sittlich besonders verwerflich machen und die vorstehende Beurteilung als niedrig bedingen. Ob er seine Beweggründe selbst als niedrig erachtet, ist demgegenüber unmassgeblich (BGH in NJW 1967, 1141).

 

Es kann dahingestellt bleiben, ob nach den Massstäben des Dritten Reiches die Motive des Angeklagten ebenfalls verachtenswert beurteilt wurden, da das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung eines Strafgesetzes auf die richterliche Gesetzesauslegung keine Anwendung findet (BGH - 1 StR 601/67 - vom 7.5.1968 220 in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 18, 224, 240; 14, 245, 251). Jedenfalls sind nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (siehe die oben dazu aufgeführten Entscheidungen) nach der heutigen Rechtsauffassung die bei dem Angeklagten vorhanden gewesenen Beweggründe als besonders niedrig zu erachten.

 

Der Angeklagte war sich auch damals über das Unerlaubte seiner Taten im Klaren, handelte demnach mit Unrechtsbewusstsein. Er war ferner nach den getroffenen Feststellungen zu den Tatzeiten strafrechtlich voll verantwortlich, da Anhaltspunkte für die Annahme des §51 Abs.2 oder gar des §51 Abs.1 StGB nicht vorliegen.

 

Schliesslich steht auch ausser Zweifel, dass eine Bestrafung lediglich wegen Beihilfe nicht in Betracht kommen kann, da der Angeklagte die Taten als eigene wollte und aus freier Initiative handelte. Er beherrschte das Ob der Tat und deren Durchführung und war dabei keinerlei Beeinflussung von dritter Seite ausgesetzt.

 

Bezüglich der somit von dem Angeklagten als Täter begangenen drei vollendeten Verbrechen des Mordes nach §211 StGB, die zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§74 StGB) stehen, ist auch keine Verjährung der Strafverfolgung eingetreten. Bereits die frühere 20-jährige Verjährungsfrist für Mord ist durch den Erlass des Haftbefehls vom 17.Mai 1961, der die Taten des Angeklagten in den DAW Lemberg zum Gegenstand hatte, noch vor ihrem Ablauf durch richterliche Handlung gemäss §68 StGB unterbrochen worden. Demnach sind die drei Taten bereits nach früherem Rechtszustand verfolgbar geblieben.

 

Abgesehen davon war die Verjährung gemäss §69 StGB bis 8.Mai 1945 gehemmt, da bis dahin die Taten aus politischen Gründen nicht verfolgt wurden (BGH in NJW 1962, 2309; BVerfG in NJW 1953, 177). Am 22.April 1965 war somit die 20-jährige Verjährungsfrist des §67 StGB a.F. noch nicht abgelaufen, so dass nach dem Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.April 1965 (BGBl. I 315) in Verbindung mit §67

 

220 Siehe Lfd.Nr.634b.