Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.439

 

spricht. Wenn er mutmasst, dass die versammelten Frauen "ausgesiedelt" (= exekutiert) werden sollten, so würde das dem Begriff der Segregation, den die Zeugin in diesem Zusammenhang gebrauchte, nahe kommen. Die Zeugin Zel. bekundete nämlich, dass die Frauen, die von dem Angeklagten wegen ihres Alters bzw. ihres schlechten körperlichen Zustandes für ungeeignet zur Arbeit in den DAW ausgelesen worden seien, anschliessend mit ihr unbekanntem Ziel aus den DAW weggebracht werden sollten. Es spricht somit einiges dafür, dass die Angaben der Zeugin Zel. durch den Zeugen Ble., der mit Sicherheit den Angeklagten nicht zu Unrecht belastete, bestätigt werden. Aber auch wenn man nicht annimmt, dass die Aussagen Zel. und Ble. sich auf einen identischen Vorfall beziehen, bleibt gleichwohl auf Grund des von der Zeugin Zel. bekundeten objektiven Geschehensablaufes geringfügige Zweifel, ob der Angeklagte den Tod der Frauen wollte oder wenigstens in Kauf nahm. Deshalb ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er lediglich eine Körperverletzung der Frauen wollte.

 

Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass durch vorstehende Feststellungen die Glaubwürdigkeit der Zeugin Zel. in keiner Hinsicht in Frage gestellt wird. Bezüglich der Stellen ihrer Aussagen, die nicht auf ihren eigenen Wahrnehmungen beruhen (Erzählungen durch Angehörige des Technikerbüros über den Tod von drei Frauen) bzw. die wegen der Entfernung von dem Tatgeschehen von ihr nicht beobachtet werden konnten (Feststellung, an welchen Körperstellen die Frauen durch die Schüsse getroffen wurden), hat das Gericht lediglich die in der Aussage Zel. von dieser selbst aufgedeckten Wahrnehmungslücken durch die noch denkbaren für den Angeklagten günstigsten Vorstellungsmöglichkeiten geschlossen.

 

D. Rechtliche Würdigung

 

I. Die Fälle 1, 20 und 22 der Anklage

 

Der Angeklagte hat sich in den Fällen 1, 20 und 22 der Anklageschrift (oben B II-V) jeweils eines vollendeten Verbrechens des Mordes nach §211 StGB schuldig gemacht. Er hat nämlich jeweils einen Menschen getötet und dabei nach den getroffenen Feststellungen aus niedrigen Beweggründen im Sinne des §211 Abs.2 StGB gehandelt. Solche liegen vor, wenn sie als Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen (BGHSt. 2, 63; 3, 133), wobei es auf die Gesamtumstände, insbesondere auch auf das Missverhältnis zwischen Anlass und gewolltem Erfolg ankommt (BGH LM Nr.25 zu §211 StGB; BGH in NJW 1967, 1141).

 

Der Angeklagte tötete jeden der drei Männer, weil er sich als Inhaber der schrankenlosen Gewalt über ihr Leben fühlte. Er nutzte seine damalige Stellung auf dem DAW-Gelände dazu aus, mit jedem der drei Männer so zu verfahren, als sei er Herr über ihr Leben und ihren Tod. Diese Gesinnung, die jede Achtung für das Lebensrecht und die Menschenwürde der drei Juden vermissen lässt, steht sittlich auf niedrigster Stufe und ist als niedriger Beweggrund im Sinne des §211 Abs.2 StGB zu bewerten (so: BGH - 2 StR 455/55 - vom 27.3.1956 217; BGH - 2 StR 775/51 - vom 21.3.1952 218; zuletzt BGH in NJW 1971, 571, 572). Daran ändert auch nichts, dass jeder der drei Opfer dem Angeklagten zuvor Anlass zu einem gewissen Unwillen gegeben hatte und er darüber etwas in Ärger geraten war (s. BGH - 5 StR 196/61 - vom 19.9.1961 219). Im Falle 22 der Anklage entsprach die Arbeitsweise des Bretterträgers nicht den Vorstellungen und Anordnungen des Angeklagten; im Falle 20 der Anklage stritt der vorgeführte Mann seine Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse

 

217 Siehe Lfd.Nr.435c.

218 Siehe Lfd.Nr.321c.

219 Siehe Lfd.Nr.535c.