Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.434

 

behandelte er schonend. Er liess sie sogar, als einige von ihnen erkrankt waren, in ein Krankenhaus bringen. Auf Grund aller dieser aus dem Inbegriff der Beweisaufnahme gewonnenen Umstände ist das Gericht überzeugt, dass bei dem Angeklagten das Bewusstsein, dass jüdische Menschen nicht getötet werden dürften, nicht abgebaut war. Die gleichwohl im Sachverhalt getroffene Feststellung, dass er die 3 Juden tötete, weil er sich als Herr über ihr Leben und ihren Tod fühlte, steht dem nicht entgegen. Sie betrifft den Beweggrund in der betreffenden Tatkonstellation, besagt aber keineswegs, dass er sich über das Unerlaubte dieser Handlungsweisen nicht bewusst gewesen sei. Diese stellten überdies in ihrem Unrechtsgehalt und in der Nichtachtung des Lebensrechts der Betroffenen solch extreme Vorgänge dar, dass sich deren Unvereinbarkeit mit den Geboten des Rechts und der Sitte auch damals jedem - so auch dem Angeklagten - aufdrängte, ohne dass es dazu einer Anspannung aller geistigen und sittlichen Erkenntnismöglichkeiten bedurfte.

 

3. Die oben unter B V 3 festgehaltene Überzeugung darüber, dass bei dem Angeklagten keine biologisch-medizinisch bedingte Einschränkung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu den Tatzeiten vorlag, stützt sich auf das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. Wit., der bei einer Persönlichkeitsexploration des Angeklagten für die Tatzeiten keinerlei Anhaltspunkte für eine Geisteskrankheit oder -schwäche, Bewusstseinsstörung oder Persönlichkeitsabnormität gefunden hat. Ebensowenig sind nach der Ansicht Professor Wit.s solche aus den Handlungsabläufen, wie sie die Zeugen bekundeten, ersichtlich. Das Gericht, das diese Darlegungen des erfahrenen Sachverständigen für überzeugend hält, vermochte ebensowenig aus den Tatabläufen irgendwelche Gesichtspunkte für eine geistige Störung bei dem Angeklagten zu erblicken. Gerade dessen sonstiges Verhalten, der keineswegs Juden bei jeder Gelegenheit tötete, sondern im Gegenteil jüdische Facharbeiter wo nur möglich schonte, spricht auch unter medizinischen Aspekten nicht für Einschränkung oder gar Ausschliessung des Unrechtsbewusstseins etwa wegen Befallenseins von einem blinden Rassenhass. Das Unrechtmässige seines Vorgehens war ihm vielmehr eindeutig bewusst. Gleichwohl handelte er in den geschilderten Fällen nicht entsprechend dieser Ansicht, obwohl er dazu in der Lage war.

 

4. Der Angeklagte kann sich auch nicht auf "Befehlsnotstand" berufen. Einen solchen hat er bei seiner Einlassung auch nicht geltendgemacht.

 

Weil der bestreitende Angeklagte sich verständlicherweise nicht auf Befehlsgebundenheit bei seiner Handlungsweise berufen kann, war zu prüfen, ob er in dieser Richtung irgendwelchen Anweisungen ausgesetzt war. Dies ist aber eindeutig zu verneinen. In seiner Eigenschaft als Leiter der DAW war die Berliner Zentrale der DAW ihm allein dienstlich vorgesetzt, die ihm keinerlei Anweisungen erteilt oder auch nur Freiheiten gelassen hat, widerspenstige jüdische Arbeitskräfte zu töten. Von sonstigen Dienststellen sind und durften ihm, wie er immer wieder in der Hauptverhandlung glaubhaft betonte, keinerlei Anweisungen erteilt worden. Es könnte aber gleichwohl daran gedacht werden, dass er sich faktisch - zumindest solange er auch für die in den DAW kasernierten Häftlinge verantwortlich war - an die Vorstellungen des in Lemberg allmächtigen SS- und Polizeiführers Katzmann gebunden fühlte. Der Angeklagte stellte dies aber stets in Abrede und betonte häufig in der Hauptverhandlung, Katzmanns Vorstellungen seien ihm gleichgültig gewesen, er habe sich sogar Wünschen Katzmanns zum Beispiel baulicher Art bezüglich der DAW ausdrücklich widersetzt. Diese Angaben des Angeklagten sind glaubhaft. Er legte, wie an vielen Stellen seiner Einlassung zu Tage trat, damals stets grossen Wert darauf, nur der Berliner Zentrale der DAW zu unterstehen und von Lemberger SS-Dienststellen völlig unabhängig zu sein. Es steht somit zweifelsfrei fest, dass sein Verhalten in den Fällen 1, 20 und 22 der Anklageschrift aus eigener Initiative erfolgte und dem Tatentschluss keinerlei Befehle oder Anweisungen Dritter zugrunde lagen.