Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.432

 

Nach Kriegsausbruch war ein geordneter Dienstbetrieb bei den SS-Einheiten nicht mehr möglich, weil die Mehrzahl der SS-Angehörigen zum Wehrdienst einberufen war. Daher hatte man bei den ostpreussischen SS-Standarten sogenannte "Führungsstäbe" eingerichtet, denen im wesentlichen die Betreuung der einberufenen SS-Männer, der Lazarette und der Hinterbliebenen gefallener SS-Angehöriger oblag. Der Führungsstab der SS-Reiterstandarte 20 in Memel bestand nur aus einem kranken Oberscharführer (Name unbekannt) und einer weiblichen Schreibkraft. Der Angeklagte Struve hatte ausserdem noch die Führungsstäbe der 1., 2. und 3. SS-Reiterstandarte und der 105. SS-Standarte zu betreuen, deren kommissarische Führung ihm zur Tatzeit übertragen worden war.

 

V. Die Massnahme der nationalsozialistischen Staatsführung zur Ausschaltung und Vernichtung des Judentums im Reichsgebiet und im litauischen Grenzraum

 

1. Die Entwicklung im Reichsgebiet bis zum Jahre 1941

 

Schon vor der sogenannten Machtübernahme durch die NSDAP am 30.Januar 1933 gaben Hitler und seine Anhänger ihre feindliche Einstellung gegen das Judentum offen zu erkennen. Bereits das Parteiprogramm der NSDAP vom 24.Februar 1920 enthielt die Forderungen:

Punkt 4: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist, Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein."

Punkt 5: "Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Fremdengesetzgebung stehen."

Punkt 6: "Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen ..."

Punkt 8: "Jede weitere Einwanderung Nichtdeutscher ist zu verhindern. Wir fordern, dass alle Nichtdeutschen, die seit dem 2.August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden."

Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, begann die NSDAP dieses Programm zu verwirklichen. Sie führte mit Hilfe der Parteipresse ("Das Schwarze Korps", "Der Stürmer") eine üble Hetzpropaganda gegen die Juden, rief zum wirtschaftlichen Boykott gegen jüdische Firmen und Erzeugnisse auf und suchte die Juden in jeder Weise zu diffamieren.

 

Die Gesetzgebung des nationalsozialistischen Staates schuf die formalrechtliche Grundlage für die folgende Diskriminierung und Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung. So waren nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 (RGBl. I S.175) die jüdischen Beamten mit wenigen Ausnahmen in den Ruhestand zu versetzen. Durch die Verordnungen vom 22.4.1933 (RGBl. I S.222) und vom 2.6.1933 (RGBl. I S.350) endete die Zulassung der jüdischen Ärzte, Zahnärzte und Zahntechniker zu den Krankenkassen. Nach dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933 (RGBl. I S.188) konnte jüdischen Rechtsanwälten die Zulassung entzogen werden.

Die Grundgesetze des nationalsozialistischen Rassenkampfes stellten die sogenannten Nürnberger Gesetze dar: Nach dem Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 (RGBl. I S.1146) und den dazu erlassenen Verordnungen vom 14.11.1935 (RGBl. I S.1333) und vom 21.12.1935 (RGBl. I S.1524) konnten Juden keine Reichsbürger sein, kein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten haben und kein öffentliches Amt bekleiden. Durch das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935 (RGBl. I S.1146) wurden Eheschliessungen und der aussereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten und unter schwere Strafe gestellt.

Die Juden mussten auf Grund der Verordnung vom 26.4.1938 (RGBl. I S.414) ihr Vermögen anmelden. Jüdische Gewerbebetriebe waren nach der 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.6.1938 (RGBl. I S.627) in ein öffentliches Verzeichnis einzutragen. Durch die 4., 5., 6. und 8. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.7., 27.9.,