Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.431

 

gefragt worden sei; was er jetzt (am 20.Januar 1971) sage, sei richtig. Diese Erklärung ist überzeugend.

 

Wahrnehmungsfehler bezüglich des Vorfalls scheiden ebenfalls aus, da der Zeuge den Handlungsablauf aus unmittelbarer Nähe beobachtete. Wie seine gesamte Aussage ergibt, war diesem der Angeklagte von der Person her und dem Namen nach damals eindeutig bekannt. Er sei als Lagerleiter am Tag ein bis zwei Mal durch die Tischlerei gegangen. Eine Verwechselung des Angeklagten mit einem anderen SS-Mann scheidet somit aus, zumal der Zeuge noch zwei andere persönliche Erlebnisse mit dem Angeklagten schilderte, die zudem für diesen charakteristisch sind: er (der Zeuge) habe kurz nach Rückkehr aus dem Krankenhaus in die DAW dort von dem Vorarbeiter Farb die Erlaubnis bekommen, sich hinzusetzen, als er sich schwach gefühlt habe; der Angeklagte sei in die Tischlerei hereingekommen und habe Farb gefragt, warum er (der Zeuge) dort sitze; als Farb erklärt habe, er (der Zeuge) sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen und sitze nur da, bis ihm Arbeit zugewiesen werden könnte, habe der Angeklagte ihm nichts getan; Gebauer habe nämlich nach dem Eindruck des Zeugen Facharbeiter gebraucht und hätte, so bekundete Schl. weiter, einen solchen nicht getötet, auch wenn er einmal nicht arbeitete. Diese so beschriebene Verhaltensweise des Angeklagten deckt sich mit den Aussagen mehrerer anderer Zeugen. In die gleiche Richtung geht auch ein weiteres Erlebnis des Zeugen mit dem Angeklagten. Als Facharbeiter von anderen Arbeitern aussortiert worden seien, habe Gebauer dafür gesorgt, dass ein sehr guter Tischler, obwohl er eine Rose am Bein gehabt habe, bei der Gruppe der Facharbeiter verblieben sei. Nach alledem scheidet bei Schl. eine Verwechselung des Angeklagten aus.

 

Es bleibt schliesslich zu prüfen, ob Bedenken gegen die Aussageehrlichkeit des Zeugen Schl. bestehen. Animositäten gegenüber dem Angeklagten klingen an keiner Stelle der Aussagen an. Insbesondere finden sich nirgends Pauschalurteile über den Angeklagten, wie sie von einer Reihe von anderen Zeugen abgegeben wurden. Der Zeuge hebt hervor, dass er nicht gesehen habe, dass Gebauer irgendjemand anderen als Dr. Luchs getötet habe; auch sei ihm Derartiges nicht erzählt worden. Im Gegenteil schilderte Schl. auch freimütig positive Eigenschaften des Angeklagten, wie das oben geschilderte Vorkommnis, als der Zeuge sich in der Tischlerei hingesetzt hatte, und die Verhaltensweise Gebauers gegenüber dem Tischler, der eine Rose am Bein hatte, zeigen. Überdies betonte der Zeuge wörtlich, Gebauer sei an sich nicht so schlecht gewesen. All dies spricht eindeutig für die vorurteilsfreie und objektive Einstellung des Zeugen gegenüber dem Angeklagten. Am Ende seiner Vernehmung am 20.Januar 1971 erklärte Schl.: der Umstand, dass er Jude sei, veranlasse ihn nicht, irgend etwas anderes zu sagen, als was der Wahrheit entspreche; er habe keine Rachegelüste gegen Gebauer oder irgendeinen anderen. Die Gesamtwürdigung der Aussage Schl. ergibt, dass es sich dabei nicht um ein blosses Lippenbekenntnis handelt, sondern um seine wahre Einstellung.

 

Nach alledem hält das Gericht die Bekundungen des Zeugen Schl. für glaubhaft, zumal die geschilderte Handlungsweise der in den Fällen 20 und 22 der Anklageschrift (oben B II und III) festgestellten ähnelt, ein derartiges Verhalten für den Angeklagten zur damaligen Zeit demnach nicht persönlichkeitsfremd war.

 

In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des Zeugen Ble. nicht ohne Bedeutung. Ble., der wie bereits dargelegt, offensichtlich bemüht war, keine belastenden Angaben gegen den Angeklagten zu machen, schilderte, er habe als Leiter der Tischlerei geduldet, wenn Häftlinge darin auf Leimöfen Kartoffeln rösteten. Gebauer würde dies nicht geduldet haben, vielmehr habe er jeweils wütend reagiert, wenn etwas durch Feuer gefährdet gewesen sei. Es erscheint denkbar, dass Ble. vom Hörensagen etwas von obigem Vorfall weiss, ihn aber als Zeuge in Abrede stellt, dabei aber zumindest bereit ist, die typische Reaktion des Angeklagten bei einem solchen Vorkommnis zu schildern. Hinzu kommt, dass ein weiterer Zeuge, nämlich Irving Ma., bekundete, im Sommer 1943 habe er gesehen, dass der Angeklagte in