Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.430

 

weiter angibt, die Tötung des Dr. Luchs habe sich etwa drei Wochen vor seiner Flucht zugetragen, so folgt daraus die bei den Feststellungen vorgenommene Datumsfestlegung auf Spätherbst 1942. Dabei kann nämlich aus den bereits dargelegten Gründen auch in dieser Schätzung "etwa drei Wochen vor der Flucht" nur die Angabe eines ungefähren Zeitraumes gesehen werden. Eine genaue Rückrechnung vom 19.Dezember 1942 würde zwar ergeben, dass als Tatzeit die letzten Novembertage in Betracht kämen. Gewisse Zuschläge oder auch Abstriche von der geschätzten Zeitspanne sind aber durchaus einzukalkulieren, so dass die Tat sich eventuell bereits Mitte November 1942 abspielte, möglicherweise sich aber auch erst in der ersten Dezemberwoche des Jahres 1942 zutrug.

 

Wie bereits dargelegt, stehen die eingangs erwähnten widersprüchlichen Jahreszahlangaben des Zeugen in seinen drei Vernehmungen, die soweit sie die Jahreszahl "1941" enthalten, mit Sicherheit falsch sind, der Erinnerungsfähigkeit des Zeugen nicht unbedingt entgegen. Vielmehr war diese für die Frage der Verwertbarkeit seiner Aussage zu dem Fall 1 der Anklageschrift an Hand anderer Kriterien zu überprüfen und zu beurteilen. Die allgemeine Aussagetüchtigkeit und Erinnerungszuverlässigkeit des Zeugen Schl. ergibt sich dabei daraus, dass er Namen und Funktion von jüdischen Vorarbeitern der Tischlerei wie Farb und Link, die durch die übrige Beweisaufnahme gesichert sind, richtig wiedergab, den Angeklagten bezüglich Statur, Aussehen, ungefährem Alter und Dienstgrad richtig beschrieb, ferner den Tagesablauf der damaligen Häftlinge zutreffend schilderte. Dieses von dem Gericht aus der Gesamtbetrachtung der verlesenen Aussagen des Zeugen gewonnene Bild von dem guten Erinnerungsvermögen Schl.s über die damalige Zeit deckt sich auch mit dem Eindruck, den die drei Berufsrichter bei der Vernehmung von dem Zeugen gewonnen haben, nämlich, dass er seine Aussage fliessend und sicher, wenn auch manchmal etwas weit ausholend, machte und dass die damalige Zeit und ihre Ereignisse dem Zeugen noch deutlich vor Augen ständen. Desweiteren wird die aus allen drei Vernehmungen zu erkennende Sachlichkeit des Zeugen bestätigt durch den ebenfalls in dem Vermerk zum Ausdruck gebrachten, ruhigen und besonnenen Eindruck, den der Zeuge bei seiner Vernehmung auf die Berufsrichter machte. Schwache Erinnerungsfähigkeit des Zeugen zu allgemeinen Themen scheidet demnach als Fehlerquelle bei der Bewertung der Zeugenaussage aus.

 

Bei der Schilderung der Tötung des Dr. Luchs wird diese Erkenntnis im speziellen Fall weiter untermauert. Die Darstellung dieses Vorkommnisses stimmt in allen drei Vernehmungen vollkommen überein. Insbesondere der zeitliche Abstand von mehr als acht Jahren zwischen der zweiten und der letzten Vernehmung unterstreicht dabei, dass dieser Vorfall sich klar und sicher im Gedächtnis des Zeugen eingeprägt hat. Mit dazu beigetragen haben mag sicher die Bekanntschaft des Zeugen mit Dr. Luchs, der wie er aus Drohobycz stammte und mit dem er früher dort gesellschaftlichen Kontakt gehabt hatte. Eine Tötung eines Menschen, der namentlich und persönlich einem Zeugen seit langem bekannt ist, wird auch dann in Einzelheiten von dem Zeugen gut in Erinnerung behalten, wenn dieser nach seiner Flucht aus den DAW noch weitere schlimme Vorkommnisse miterlebte. Die Überlagerung von späteren Eindrücken, die als Fehlerquelle bei der Aussage von jüdischen Zeugen ins Auge zu fassen ist, spielt vorliegend deshalb keine besondere Rolle. Die Übereinstimmung aller drei Aussagen zu dem Fall 1 der Anklage stellt somit einen gewichtigen Gesichtspunkt bei der Würdigung der diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen Schl. dar. Ein geringfügiger Widerspruch zwischen der protokollierten Aussage vom 21.September 1962 und seiner letzten Bekundung am 20.Januar 1971 steht dem nicht entgegen. In der Aussage aus dem Jahre 1962 heisst es, die Leiche des Dr. Luchs sei auf dem Boden liegen geblieben, bis nach Arbeitsschluss alle Häftlinge ins Janowskalager zurückgebracht worden seien. Auf diesen Widerspruch am 20.Januar 1971 angesprochen, erläuterte der Zeuge, die Leiche sei lediglich nur ungefähr eine 3/4 bis 1 Stunde in der Tischlerei liegen geblieben und dann nach draussen gebracht worden. Wenn das nicht in seiner früheren Vernehmung zum Ausdruck gekommen sei, so liege es wahrscheinlich daran, dass er von dem vernehmenden Konsul nicht genau danach