Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.430

 

Harms 124 (Zeuge), der zugleich Leiter des Grenzpolizeikommissariats Tilsit war. Dieser Abteilung wurde wenige Tage vor Beginn des Russlandfeldzuges auch der Kriminalkommissar auf Probe Gerke 125 (Zeuge) zugeteilt, der aber schon Ende Juni/Anfang Juli 1941 den Sonderauftrag erhielt, die Auswahl der Juden und der politischen Kommissare in den Kriegsgefangenenlagern zu überwachen.

Die Stapostelle Tilsit verfügte über Funk- und Fernschreibanlagen sowie über eine Anzahl Personenkraftwagen; dagegen besass sie keine Lastkraftwagen.

 

Die damalige "Grenzpolizei" war eine Sonderformation grenznaher Staatspolizeistellen und deren Exekutivorgan zur sicherheitspolizeilichen Überwachung der Reichsgrenze. Ihre Aufgaben waren Passnachschau, Fahndung und Hinterlandüberwachung. Zur Unterstützung der zahlenmässig schwachen Grenzpolizeikräfte waren nach einer zwischen dem Reichsfinanzminister und dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei getroffenen Vereinbarung die Beamten des Zollgrenzschutzes auf Anforderung verpflichtet (Erlass des Reichsministers der Finanzen vom 27.1.1938 - 03041 - 746 II (JZ) - betreffend: Mitwirkung der Behörden der Reichsfinanzverwaltung, Abteilung Zoll, im Grenzpolizeidienst).

Leiter des Grenzpolizeikommissariats (GPK) Memel war der Kriminalkommissar und SS-Obersturmführer Dr. Frohwann, der später durch Selbstmord aus dem Leben schied, während das Grenzpolizeikommissariat Tilsit in Personalunion von dem Leiter der Abteilung III der Stapo Tilsit, Kriminalkommissar Harms, geleitet wurde.

 

Dem Grenzpolizeikommissariat Tilsit unterstanden die Grenzpolizeinebenstelle Heydekrug und die Grenzpolizeiposten (GPP) Kolleschen, Laugszargen und Schmalleningken. Die Grenzpolizeinebenstelle Heydekrug, die den genannten Grenzpolizeiposten nicht über-, sondern gleichgeordnet war, hatte u.a. die Aufgabe, die von den Grenzpolizeiposten oder vom Zoll aufgegriffenen illegalen Grenzgänger zu vernehmen und sie den Gerichten oder der Stapostelle Tilsit zuzuführen. Ausserdem erfüllte die Nebenstelle Heydekrug auch innenpolitische Aufgaben, die in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung II der Stapostelle Tilsit fielen. Leiter der Nebenstelle Heydekrug war der Kriminalobersekretär Ba. (Zeuge), der aus der memelländischen Kriminalpolizei hervorgegangen und wahrscheinlich wegen seiner litauischen Sprachkenntnisse auf diesen Posten berufen worden war. Ba. litt unter den Folgen einer im ersten Weltkrieg erhaltenen Hirnverletzung und trug sich darum mit Pensionierungsgedanken. Er hatte im Gegensatz zu den meisten Beamten der Stapo und der Grenzpolizei keinen SS-Angleichungsdienstgrad. Bei der Nebenstelle Heydekrug war ferner der Angeklagte Bastian beschäftigt; er hatte dort im wesentlichen Schreibarbeiten zu erledigen. Weitere Bedienstete gehörten im Sommer 1941 dieser Dienststelle nicht mehr an.

Der Grenzpolizeiposten Kolleschen an der Strasse von Heydekrug nach Naumiestis (Neustadt) war nur mit dem Kriminalobersekretär Assmus als Postenführer und dem Angeklagten Schmidt besetzt. Da Assmus schon vor Beginn des Russlandfeldzuges wegen Krankheit seinen Dienst aufgeben musste, war der Angeklagte Schmidt in dem hier fraglichen Zeitraum allein in Kolleschen. Die Beamten der Staats- und Grenzpolizei führten mit ganz wenigen Ausnahmen (Zeuge Ba.) SS-Angleichungsdienstgrade und trugen - ebenso wie der SD - die graue Felduniform der Waffen-SS mit der "SD-Raute" auf dem linken Unterarm, die bei der Staats- und Grenzpolizei zur Unterscheidung vom SD mit einer Silberkordel umrandet war.

 

3. Der Sicherheitsdienst (SD)

 

Der Regierungsbezirk Gumbinnen bildete den SD-Abschnitt Tilsit, der wiederum zum SD-Oberabschnitt Königsberg gehörte. Der Sicherheitsdienst (SD) war im Gegensatz zur Gestapo eine reine Nachrichtenorganisation der NSDAP, deren hauptamtliche Mitarbeiter nicht Berufsbeamte, sondern Angestellte waren und vom Reichsschatzmeister der NSDAP bezahlt wurden. Exekutivbefugnisse, wie das Recht, Verhaftungen, Vernehmungen, Durchsuchungen oder Beschlagnahmen durchzuführen, hatte der SD nicht. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, die Stimmung der einheimischen Bevölkerung zu erforschen. Der SD war dem Amt III des RSHA unmittelbar unterstellt (Amtschef bis zum Beginn des Russlandfeldzuges Ohlendorf, dann Schellenberg).

 

124 Siehe Lfd.Nr.465.

125 Siehe Lfd.Nr.547.