Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.43

 

nicht aus. Es erscheint trotz der dienstlichen und persönlichen Bindungen des Generalstaatsanwalts Hanssen zu dem Zuchthaus in Sonnenburg nicht ausgeschlossen, dass der Gauleiter als Inhaber der vollziehenden Gewalt oder ein Beamter des Justizministeriums eine direkte Anordnung erteilt und Hanssen eine solche Anordnung nur weitergeleitet hat. Weitere Erkenntnisse über eine Beteiligung Hanssens lagen nicht vor, insbesondere fehlten schriftliche Aufzeichnungen aus der Behörde des Generalstaatsanwalts und des Zuchthauses in Sonnenburg, die mit Sicherheit über diese Vorgänge entstanden sind und Aufschluss über die Beteiligung des einen oder des anderen hätten geben können. Nach den in sowjetischer Haft vernommenen Zeugen Kli. und Ru. nahmen sie Unterlagen des Zuchthauses Sonnenburg, darunter die Gefangenenkartei nach Rathenow mit und berichteten von dort über die Zahl der verlegten und der der Gestapo übergebenen Häftlinge; am 12.Februar 1945 sind die Unterlagen nach Brandenburg an der Havel mitgenommen worden.

 

3.257 Gauleiter Stürtz

 

Der Reichsverteidigungskommissar und Gauleiter für den Gau Mark Brandenburg, Stürtz, wird durch die Zuständigkeiten aus dem genannten Führererlass, nach dem ihm die vollziehende Gewalt oblag, nach den "Richtlinien für die Räumung von Justizvollzugsanstalten im Rahmen der Freimachung bedrohter Reichsgebiete" und nach dem durch den Zeugen Egg. am 31.1.1945 niedergelegten Vermerk über ein Ferngespräch mit Generalstaatsanwalt Hanssen belastet. Diese Umstände legen es nahe, dass Stürtz die Anordnung zur Räumung des Zuchthauses in Sonnenburg und zur Tötung eines Teils der Gefangenen selbst erteilt und diese Anordnung zur Durchführung über das Reichssicherheitshauptamt, den höheren SS- und Polizeiführer oder den Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD an die Staatspolizeistelle in Frankfurt/Oder weitergeleitet hat. Hierbei handelt es sich jedoch nur um naheliegende Möglichkeiten. Sichere Feststellungen über die tatsächliche Tätigkeit des Reichsverteidigungskommissars Stürtz, den Hergang, die zur Beurteilung herangezogenen Tatsachen, die Beweggründe, das Zustandekommen des Entschlusses und die Vorstellungen über die Art der Ausführung waren nicht zu treffen. Wie bereits ausgeführt, reicht der vom Zeugen Egg. niedergelegte Vermerk über das Ferngespräch mit Generalstaatsanwalt Hanssen für eine sichere Urteilsfeststellung nicht aus, selbst wenn der Zeuge Egg. über den Inhalt des Vermerkes allgemein angibt, dass Hanssen ihm das so gesagt haben müsse. Diese Aussage des Zeugen Egg. ist zu allgemein und unbestimmt, wobei offen bleiben muss, ob dieser Zeuge mehr weiss, als er dem Schwurgericht gesagt hat oder verständlicherweise durch Zeitablauf Gedächtnislücken besitzt. Andererseits geht aus seiner Aussage auch hervor, dass zur damaligen Zeit Zuständigkeiten keine allzu grosse Bedeutung mehr beigemessen werden konnte, weil die Unruhe bereits ungeheuer gross war und niemand mehr die Zuständigkeitsfragen genau geprüft hat. Das hindert zwingende Rückschlüsse aus den Zuständigkeiten. Nach den vorliegenden Beweismitteln kann der Reichsverteidigungskommissar, Gauleiter Stürtz, nicht als Täter festgestellt werden, weil nur indirekte Hinweise auf ihn vorliegen, konkrete Einzelheiten jedoch nicht festgestellt werden konnten.

 

3.258 Inspekteur Dr. Fischer

 

Der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD, Dr. Fischer, wird nur insoweit belastet, als er mit der Dienststelle der Angeklagten vor der Tat über die Sonnenburg betreffenden Anordnungen ein Telefongespräch geführt und die Durchführung dieser Anordnungen hierbei angemahnt hat. Weitere Feststellungen über ihn waren nicht zu treffen. Insbesondere war nicht festzustellen, ob er selbst irgendwelche Anordnungen getroffen oder auch nur Eigeninitiative entfaltet hat.

 

Über die Beteiligung von Beamten des Reichssicherheitshauptamtes waren ebenfalls keine sicheren Feststellungen zu treffen. Die Einlassung des Angeklagten Ric. weist auf diese Dienststelle hin. Auch der Zeuge Herg. behauptet, es sei ein geheimes Fernschreiben vom