Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.428

 

Bekundungen in der Hauptverhandlung. Sie betonte darin ausdrücklich, sie werde als Zeugin vor Gericht nur angeben, was sie selbst als Augenzeugin erlebt habe; vom Hörensagen wisse sie noch vieles andere über den Angeklagten. Vorstehende vorgebliche Anordnung des Angeklagten lässt sich somit zwanglos als Wiedergabe eines Gerüchts erklären, das der Zeugin zu Ohren gekommen war und das sie wie die Erzählungen über Rokita und Willhaus, die sie ebenfalls nur vom Hörensagen kennen kann, zu Papier brachte. Ein Widerspruch zu den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung besteht somit nicht.

 

Bei dieser Sachlage erschien es auch nicht geboten, auf Grund der Aufklärungspflicht des §244 Abs.2 StPO die Zeugin Zel. erneut vorzuladen, um die Hintergründe aufzuklären, die zur Niederschrift obiger Episode, die mit dem Verfahrensgegenstand nichts zu tun hat, führten. Ebensowenig gebietet es §244 Abs.2 StPO, die Zeugin Zel. über die Berechtigung des von ihr nach der Vernehmung geltend gemachten Entschädigungsanspruchs als Zeugin zu vernehmen. Ein diesbezüglicher Antrag der Verteidigung wurde mangels jeglicher Anhaltspunkte für ein unehrenhaftes Vorgehen der Zeugin als Beweisermittlungsantrag zurückgewiesen. Er basiert auf nicht schlüssigen Folgerungen und Vermutungen der Verteidigung. Das Gericht hält es nach seinem pflichtgemässen Ermessen nicht für erforderlich, die Zeugin Zel. zu der Frage ihrer Gebührenabrechnung zu vernehmen, da keinerlei Hinweise dafür erkennbar sind, dass dadurch Indizien gegen die allgemeine Glaubwürdigkeit der Zeugin zu Tage treten werden.

 

Die Verteidigung hat angedeutet, die Zeugin Zel. könne eifersüchtig sein, weil eine andere Jüdin, Käthe Ha., ein "einseitiges Liebesverhältnis" zu dem Angeklagten unterhalten habe. Es ist schon schwerlich einzusehen, warum die Zeugin Zel. auf den Angeklagten eifersüchtig sein sollte, wenn von diesem das Verhältnis nicht erwidert wurde, er vielmehr die Käthe Ha. abwehrte. Aber selbst wenn man annehmen wollte, es habe tatsächlich ein Verhältnis zwischen dem Angeklagten und Käthe Ha. bestanden, was deren Schwester Gisela Urb. bei ihrer polizeilichen Vernehmung aussagte, spricht nichts dafür, dass die Zeugin Zel. nach fast dreissig Jahren den Angeklagten nur deshalb belasten sollte, weil sie damals etwa eifersüchtig gewesen ist. Sie machte keineswegs den Eindruck einer aus verschmähter Liebe handelnden Frau, deren Antworten noch heute von Vergeltungsstreben diktiert sind, vielmehr antwortete sie ruhig und sachlich, liess keine Emotionen erkennen und belastete auch durchaus nicht den Angeklagten lediglich einseitig.

 

IV. Zu Fall 1 der Anklageschrift

 

Die dazu getroffenen Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des Zeugen Abraham Schl.

 

Auf Grund eines Rechtshilfeersuchens des Schwurgerichts wurde der Zeuge am 20.Januar 1971 im Deutschen Konsulat in Philadelphia durch den zur Vernehmung ermächtigten Commissioner Rechtsanwalt Had. in Gegenwart der drei Berufsrichter, des Staatsanwalts Gär. und des Rechtsanwalts Kil. vernommen. Da der Zeuge gesundheitlich nicht in der Lage ist, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, wurde seine Aussage gemäss §251 Abs.1 Nr.2 StPO verlesen. Auf Grund der gleichen Vorschrift wurden ausserdem die früheren eidlichen konsularischen Vernehmungen des Zeugen vom 24.April 1961 und vom 21.September 1962, die nach §20 Konsulargesetz die Bedeutung von richterlichen Vernehmungen haben, verlesen. Die drei Berufsrichter haben am 20.Januar 1971 nach der Vernehmung des Zeugen in Philadelphia einen Vermerk verfasst. Dieser wurde in der Hauptverhandlung verlesen; er hat folgenden Wortlaut: "Während seiner Vernehmung machte der Zeuge Schl. einen ruhigen und besonnenen Eindruck. Seine Aussage machte er fliessend und sicher, wenn er auch nicht immer sich auf die Beantwortung der gestellten Frage konzentrierte, sondern leicht dazu neigte, seine Erlebnisse in Lemberg weit ausholend zu schildern, wobei offenbar wurde, dass die damalige Zeit und ihre Ereignisse ihm noch deutlich vor Augen stehen."