Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.428

 

5. Angeklagter Jagst

 

Der Angeklagte Friedrich Jagst wurde am 15.Juni 1907 119 in Tilsit (Ostpreussen) als Sohn des Zimmermanns Michael Jagst und seiner Ehefrau Anna, geb. Schrö., geboren. Er hat noch eine ältere Schwester. Bald nach seiner Geburt verzogen seine Eltern nach Heydekrug (Memel). Hier besuchte der Angeklagte die gehobene Bürgerschule (Volksschule). Nach seiner Schulentlassung im April 1921 war er ein Jahr bei einem Rechtsanwalt und Notar als Anwaltslehrling beschäftigt. Dann trat er in das Landratsamt über und setzte dort seine Lehrzeit fort. Seit dem 1.März 1924 war er bei dem Landratsamt als Verwaltungsangestellter tätig. Im Jahre 1934 wurde er - wahrscheinlich wegen seiner aktiven Betätigung in deutschen Sportvereinen und seiner Mitgliedschaft in der Neumann-Partei (Sovog) - aus dem Dienst entlassen. Er erhob gegen die Entlassung Klage und erreichte im Jahre 1936 einen Vergleich. Danach wurde er unter Nachzahlung des halben Gehalts wieder in den Dienst des Landratsamtes übernommen und mit Wirkung vom 1.April 1935 zum Landesverwaltungsassistenten ernannt. Nach dem Anschluss des Memellandes wurde er als Regierungsassistent in den preussischen Landesdienst übernommen und am 1.März 1940 zum Regierungssekretär befördert. Der Angeklagte Jagst war nach Aufhebung des Kriegszustandes im Jahre 1938 in den Memelländischen Kulturbund und in den Memelländischen Ordnungsdienst (MOD) eingetreten, in dem er einen Unterführerposten (Gruppenführer) bekleidete.

Nach dem Anschluss wurde er automatisch als Unterscharführer in die allgemeine SS (Sturm 5 Sturmbann II Standarte 105) überführt. Ausserdem trat er der NSDAP bei. Am 1.März 1942 wurde er zu einer Kraftfahrersatzabteilung der Waffen-SS einberufen. Ohne jemals zum Fronteinsatz zu kommen, fand er bei verschiedenen Einheiten als Rechnungsführer, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Unterscharführers der Waffen-SS, Verwendung.

 

Am 8.Mai 1945 geriet er in Österreich in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach etwa einem Jahr in die Zivilinternierung überführt wurde. Nach seiner Entlassung im September 1947 begab er sich zu seiner Schwester in Immensen (Kreis Burgdorf/Hannover), zu der sich auch seine Familie geflüchtet hatte. Bis zum Jahre 1952 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Arbeiter bei der Bundesbahn.

Am 15.Oktober 1952 wurde er vom Landkreis Burgdorf als Angestellter für die Bearbeitung von Lastenausgleichssachen übernommen, am 1.April 1954 zum Kreissekretär ernannt und am 1.April 1957 zum Kreisobersekretär befördert.

Der Angeklagte Jagst hat im Jahre 1942 geheiratet und ist Vater von vier Kindern im Alter von 9 bis 17 Jahren. Er ist bisher unbestraft. Vom 19.Mai bis 7.Dezember 1960 befand er sich in Untersuchungshaft. Seitdem ist er wieder auf freiem Fuss und beim Lastenausgleichsamt in Burgdorf beschäftigt.

 

IV. Gliederung der für Heydekrug zuständigen Behörden und SS-Formationen

 

1. Allgemeine Verwaltung

 

Die drei memelländischen Landkreise Memel, Pogegen und Heydekrug traten bei der Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich zu dem Regierungsbezirk Gumbinnen. Regierungspräsident in Gumbinnen war während des Krieges Dr. Rohde.

Um die Zustände im Memelland an die Verhältnisse im Altreich anzugleichen, wurden nach dem Anschluss im März 1939 die leitenden Posten in den Behörden und Parteidienststellen vielfach mit Reichsdeutschen besetzt. So wurde der damalige Landrat des Kreises Heydekrug, Amtsgerichtsrat Walter Buttkereit, nicht übernommen, sondern durch den Landrat Bochum aus Ebenrode, einem früheren Gemüsehändler und Parteifunktionär, ersetzt. Bochum war von März bis August 1939 zugleich Landrat und Kreisleiter der NSDAP in Heydekrug. Dann wurden der damalige Bürgermeister von Preussisch-Holland, D. (Zeuge), zum kommissarischen Landrat und der Heydekruger Gastwirt Fritz Bingau zum Kreisleiter ernannt. D., der den Polenfeldzug als Reserveoffizier mitmachte, konnte sein Amt aber erst nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht im Herbst 1939 antreten. Bis dahin nahm Regierungsrat Dr. Noack die Geschäfte des Landrates wahr. Im März 1940 wurde der Zeuge D., der wenig später zum

 

119 Lt. Urteilstenor: 17.Juni 1907.