Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVII

Verfahren Nr.500 - 522 (1960 - 1961)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.511a LG Aurich 29.05.1961 JuNSV Bd.XVII S.421

 

Lfd.Nr.511a    LG Aurich    29.05.1961    JuNSV Bd.XVII S.425

 

2. Angeklagter Struve

 

Der Angeklagte Karl Struve wurde am 14.Juli 1902 in Köln als Sohn des Reichsbahnlademeisters Emil Struve und seiner Ehefrau Caroline, geb. Ben., geboren. Er hat eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder sowie zwei Stiefgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters.

Der Angeklagte besuchte in Kassel und Bad Homburg die Volksschule. Anschliessend begann er in Eschersheim bei Frankfurt a.M. eine Mechanikerlehre, brach diese aber nach zweijähriger Lehrzeit ohne Prüfung ab. Er trat dann im Jahre 1919 in das Freikorps Hessen-Nassau ein und nahm an den Einsätzen bei den Kommunistenaufständen in Suhl und Zella-Mehlis teil. Im Jahre 1921 wurde er in das Reichsheer übernommen. Er leistete seine Dienstzeit überwiegend beim Reiterregiment 16 in Kassel, Erfurt und im Kreis Langensalza ab, wurde als Turnierreiter ausgebildet und auch auf zwei Jahre zur Kavallerieschule in Hannover abkommandiert. Nach Besuch der Heeresfachschule und Ablegung der Heeresfachprüfung I schied er im September 1931 als Wachtmeister aus dem Reichsheer aus.

 

Anfang 1932 wurde er als Bereiter bei der Wehrkreis-Reit- und Fahrschule in Parchim (Mecklenburg) im Angestelltenverhältnis eingestellt. In seiner Freizeit erteilte er Reitunterricht für SA- und SS-Führer. Diese schlugen ihm den Übertritt in die Reiter-SS vor. Daraufhin trat der Angeklagte Struve im November 1933 als SS-Anwärter in die SS ein. Nach Durchlaufen der üblichen Laufbahn wurde er im August 1934 zum SS-Truppführer befördert. Im Dezember 1934 schied er aus dem Dienst der Reit- und Fahrschule aus. Danach wurde er zunächst als Reitlehrer und später als hauptamtlicher SS-Führer bei der Reiter-SS verwendet. Im Frühjahr 1936 wurde er als SS-Obersturmführer mit der Führung der SS-Reiterstandarte 5 in Pyritz (Pommern), die später nach Stettin verlegt wurde, beauftragt. Im November 1937 wurde er zum SS-Hauptsturmführer befördert. Wegen einer finanziellen Unregelmässigkeit wurde er im Jahre 1938 vorübergehend aus der SS ausgeschlossen. Nach mehrmonatiger Arbeitslosigkeit fand er eine Beschäftigung als Reitlehrer bei der Universität München.

Am 1.Juli 1939 wurde er wieder als hauptamtlicher SS-Hauptsturmführer in die SS übernommen und mit der Führung der 20. SS-Reiterstandarte in Tilsit beauftragt. Nach dem Polenfeldzug fand er vorübergehend als Ausbilder einer aus Angehörigen der Reiter-SS gebildeten Hilfspolizeieinheit in Zichenau in Polen Verwendung. Seit September 1940 wurde er wieder als Führer der 20. SS-Reiterstandarte sowie als kommissarischer Führer mehrerer ostpreussischer SS-Standarten und als Leiter des Turnier- und Rennstalles des SS-Oberabschnittes Nordost eingesetzt. Im Dezember 1944 wurde der Angeklagte Struve zur Waffen-SS eingezogen, zunächst mit dem Dienstgrad eines Oberscharführers dann als Hauptsturmführer und Leiter eines Unterführerlehrganges. Im März 1945 wurde er mit der Aufgabe, für die SS Pferde zu züchten, nach Norwegen versetzt. Hier geriet er im Mai 1945 in englische Kriegsgefangenschaft. Wegen seiner SS-Zugehörigkeit wurde er im August 1945 in Zivilinternierung überführt. Nach längerem Aufenthalt in den Internierungslagern Regensburg und Darmstadt wurde er im Oktober 1948 entlassen, nachdem er im Spruchkammerverfahren als "Betroffener" in Gruppe III eingestuft und mit einer Geldbusse von 3000.- RM belegt worden war.

 

Nach seiner Entlassung verdiente sich der Angeklagte durch wechselnde, mehrmals durch längere Arbeitslosigkeit unterbrochene Beschäftigungen als Reitlehrer seinen Lebensunterhalt.

Im Jahre 1958 erlitt er einen Reitunfall. Hierdurch wurde er 100% berufsunfähig und 60% erwerbsunfähig. Seit dieser Zeit bezieht er eine Unfallrente von monatlich 126.- DM. Ein weiteres Rentenverfahren mit dem Ziel, eine Berufsunfähigkeitsrente aus der Angestelltenversicherung zu erlangen, ist zur Zeit anhängig, aber noch nicht abgeschlossen.

Der Angeklagte Struve ist seit dem Jahre 1928 verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder im Alter von 22 bis 29 Jahren hervorgegangen.

Der Angeklagte ist bisher nicht bestraft. Er wurde am 14.Juni 1960 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.