Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.420

 

nämlich zwischen den einzelnen Arbeitsgängen zu den beiden Holzplätzen - offen lässt, und er schliesslich Umstände, die er nicht auf Grund eigener Wahrnehmung wiederzugeben vermag, wie die Motivation für die Tötung, klar als von anderen Häftlingen erfahren herausstellt. Dieses Bemühen um Genauigkeit und Differenzierung der Wahrnehmungsquellen verleiht dieser Zeugenaussage bereits einen gesteigerten Wert. Es wird nämlich erkennbar, dass der Zeuge in der Lage ist, einen Geschehensablauf rein objektiv wiederzugeben. Er erliegt nicht der Gefahr, Bindeglieder zwischen den Beobachtungsinseln, denn nur über solche hat er berichtet, durch gedankliche Vorgänge und Schlussfolgerungen herzustellen und somit eine abgerundetere, für den flüchtigen Betrachter plausiblere Darstellung zu geben. Diese klare Unterscheidung mindert die grundsätzlich bei jeder Zeugenaussage, die sich mit fast 30 Jahren zurückliegenden Vorgängen befasst, in Rechnung zu stellende Fehlerquelle, dass einem Zeugen - wenn auch unbewusst - eine Vermischung zwischen Erinnerung an die Erfahrungswirklichkeit und einer blossen gedanklichen Verarbeitung - und somit letztlich einer Einbildungstätigkeit - unterlaufen kann. Ein gewichtiger Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Zeuge herausstellt, dass er die Motivation für die Tötung - "das Opfer habe etwas Material kaputt gemacht" - lediglich aus Erzählungen anderer Häftlinge während der Mittagspause wisse. Ausser aus der vorstehend analysierten Darstellungsweise des Zeugen über die eigentliche Tötungshandlung wird das gute Wahrnehmungsvermögen des Zeugen und seine klare Erinnerungsfähigkeit dadurch ersichtlich, dass er, obwohl er nur zwei Tage in den DAW war, die zur Zeit seines Aufenthalts vorhandenen Örtlichkeiten in Übereinstimmung mit dem Bild schildert, das sich aus der übrigen Beweisaufnahme herausgeschält hat. Das gilt ferner bezüglich der Örtlichkeiten des ZAL, in dem der Zeuge später - nämlich ab Sommer 1942 - für die Zeitspanne von rund einem Jahr, kaserniert war. Auch diese beschrieb er genau und in Übereinstimmung mit dem davon durch die übrigen Zeugenaussagen gewonnenen Bild.

 

Diese Umstände zeigen, dass an der Aussagetüchtigkeit des Zeugen keine Abstriche zu machen sind. Es traten auch keine Gesichtspunkte zu Tage, die Zweifel an der Aussageehrlichkeit des Zeugen begründen könnten. Mau. war im Vorverfahren nicht vernommen worden. Er hat sich bisher, obwohl er Augenzeuge von Verbrechen von SS-Leuten an Juden in Galizien war, auf Aufrufe von Verfolgungsbehörden, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen, nicht gemeldet, wie er glaubhaft bekundete. In der Hauptverhandlung führte die Schilderung des Zeugen Bla., ausser ihm sei in den DAW ein weiterer heute noch lebender Häftling namens Mau. gewesen, dazu, dass der Zeuge Mau. aufgefunden werden konnte und geladen wurde.

 

Demzufolge stand er im Gegensatz zu einigen anderen jüdischen Zeugen, die in dem sogenannten Lemberg-Prozess 214 vor dem Schwurgericht in Stuttgart gehört wurden, noch niemals als Zeuge vor einem deutschen Gericht in einem NSG-Prozess. In dieses Verfahren wurde er auf Ladung des Gerichts eingeführt, nachdem sein Name durch den Zeugen Bla., auf den noch einzugehen sein wird, genannt wurde. Mau. liess zu Beginn seiner Vernehmung erkennen, dass er ungern als Zeuge erschienen ist. Aus alledem erhellt, dass die häufiger ins Feld geführte Meinung, die Aussagen jüdischer Zeugen seien deshalb besonders kritisch zu bewerten, weil angesichts des ihnen, ihren Glaubensgenossen und oft auch ihren eigenen nahen Angehörigen zugefügten Unrechts eine Aversion gegen alle früheren SS-Führer und gar Rachegefühl gegen diese nicht auszuschliessen seien, auf diesen Zeugen nicht übertragen werden kann. Das Gericht hat somit von Mau., nicht zuletzt wegen des persönlichen Eindrucks von diesem, ein Bild gewonnen, auf Grund dessen eine bewusste Verfälschung der Aussage ausgeschlossen ist. Die Schilderung des Tathergangs durch den Zeugen konnte somit der Urteilsfindung zu Grunde gelegt werden. Wahrnehmungsfehler des Zeugen bei der

 

214 Siehe Lfd.Nr.671.