Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXV

Verfahren Nr.747 - 757 (1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.756a LG Saarbrücken 29.06.1971 JuNSV Bd.XXXV S.389

 

Lfd.Nr.756a    LG Saarbrücken    29.06.1971    JuNSV Bd.XXXV S.413

 

des Angeklagten befassen, die protokollierten Aussagen im übrigen aber zu knapp gehalten sind, um abschliessend daraus die allgemeine Erinnerungszuverlässigkeit der Zeugen und die oben (C I 1) angesprochenen Fehlerquellen ausschliessen zu können.

 

Von den weiter in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen konnten die früheren SS-Angehörigen Martin Büt., Paul F., Philipp Fed., Wilhelm Voe. und Peter Blu. 210 keine Angaben über die Verhältnisse in den DAW machen, da sie ausschliesslich im benachbarten ZAL tätig waren.

 

Entlastende Aussagen machten die Zeugen Jakob Kra., Friedrich Ka., Elisabeth Han., Willi Mo. und Hugo Ble., die alle in der Zeitspanne von Frühjahr 1942 bis Herbst 1943 mehr oder weniger lange in den DAW waren. Die Bekundungen dieser fünf Zeugen lassen sich mit dem Bild über die Behandlung der Juden in den DAW, das oben aufgezeichnet wurde, nicht vereinbaren.

 

Der Zeuge Kra. kommt dabei den getroffenen Feststellungen noch am nächsten. Er hat im Jahre 1943 mit seinem LKW Fahrten für die DAW durchgeführt und kam deshalb in der Woche zwei bis drei Mal für kürzere Zeit in die DAW. Kra. bekundete, dass SS-Leute dort Juden geschlagen und getreten hätten, er aber keine Tötungen in den DAW erlebt habe. Zudem sei ihm von Juden aus den DAW berichtet worden, sie hätten es in den DAW viel besser als im ZAL. Letztere Angabe deckt sich mit dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme und den insoweit getroffenen Feststellungen. Wenn Kra. keine Tötungen in den DAW erlebte, so steht dies obigen Feststellungen nicht entgegen, da es durchaus denkbar ist, dass die gelegentlichen kurzfristigen Aufenthalte des Zeugen in den DAW ihm nicht unbedingt Kenntnis von einer schweren Misshandlung eines Juden irgendwo auf dem weitläufigen Gelände der DAW verschaffen mussten, bzw., dass seine Anwesenheiten auf Zeitpunkte fielen, in denen es in den DAW zu keiner Tötung eines Juden kam. Deshalb ist die Aussage des Zeugen Kra., gegen dessen Glaubwürdigkeit sich auf Grund des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks keine durchgreifenden Bedenken ergaben, nicht geeignet, die obigen Feststellungen in Frage zu stellen.

 

Der Zeuge Ka., der Angehöriger der Totenkopfdivision war und eine Zeitlang im Konzentrationslager in Buchenwald Wachdienst geleistet hatte, wurde im Frühjahr 1943 nach Lemberg versetzt, wo er in den DAW tätig war. Er bekundete, die Häftlinge seien in den DAW sehr gut behandelt worden; insbesondere habe sich der Angeklagte gegenüber den Häftlingen sehr gut verhalten; Gebauer habe nie Juden geschlagen. Bei dem Zeugen Ka. traten Bedenken gegen seine Erinnerungsfähigkeit deutlich zu Tage. So ist er der Meinung, dass bei seiner Ankunft im Frühjahr 1943 das ZAL überhaupt noch nicht belegt gewesen sei. Diese Erinnerungsfehler können auf das Alter des 66-jährigen Zeugen zurückgeführt werden, der bereits deutliche Abbauerscheinungen zeigte. Recht unwahrscheinlich wirken ferner seine Angaben er habe von der Liquidation des ZAL am 19.November 1943, obwohl er zu dieser Zeit in den DAW gewesen sei, nichts bemerkt. Nach den Angaben einer Reihe von deutschen Zeugen (Kol., Büt., Blu.) waren die Vorgänge an diesem Tag unübersehbar. Den ganzen Tag über seien Schüsse gefallen, ferner hätten Rauchwolken am Himmel gestanden und sei der Geruch der verbrannten Leichen deutlich wahrzunehmen gewesen. Es erscheint denkbar, dass sich bei dem Zeugen Ka. in der verflossenen Zeitspanne ein Verdrängungsprozess vollzogen hat. Wie Professor Dr. Wit. in der Hauptverhandlung darlegte, ist es möglich, dass Menschen mit starker affektiver Beteiligung ihnen unangenehme, unerwünschte und peinliche Erlebnisse unbewusst zur innerpsychischen Entlastung aus ihrem Gedächtnis eliminieren und verdrängen (siehe auch Wit.: Grundriss der gerichtlichen Psychologie und

 

210 Zu Büt., F. und Blu. siehe Verfahren Lfd.Nr.671.